St. Gallen – Am letzten Donnerstag kamen bei den Anlegern ungute Erinnerungen an Anfang März auf. Neue Massnahmen in Europa gegen den rasanten Anstieg der Corona-Ansteckungen und die Blockade des notwendigen zweiten Hilfspakets im US-Kongress erschreckten die Börse und liessen die Kurse in kurzer Zeit purzeln. Der SMI verlor fast drei Prozent und der DAX gar mehr als vier Prozent, bevor sich die Kurse gegen Tagesende leicht erholten. Am Freitag schaute die Welt schon wieder rosiger aus, aber die Erkenntnis bleibt, dass die Börsenhausse auf wackeligen Füssen steht.
Die zweite Ansteckungswelle wird nicht so schnell abflachen. Es wird zu weiteren Massnahmen kommen, welche die wirtschaftliche Tätigkeit und den internationalen Warenaustausch beeinträchtigen. Das wird sich über kurz oder lang auch in den Konjunkturdaten und den Stimmungsindikatoren der Unternehmen zeigen.
Aktienkurse auf dem Niveau von Anfang Jahr oder darüber
Die neuen Einschränkungen treffen die wirtschaftliche Erholung in einem ungünstigen Moment. Der erste Rebound und der Aufholeffekt nach dem Lockdown sind vorbei. Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen müssen, ob der Erholungspfad nachhaltig ist. Nun wird es auf diesem Weg ein paar Schlaglöcher und Rumpler mehr geben. Gleichzeitig ist die Bewertung vieler Aktien hoch. Das gilt vor allem für die Technologieaktien, aber nicht nur. Die Kurse befinden sich mehrheitlich auf dem Niveau von Anfang Jahr oder darüber. Die Investoren gehen davon aus, dass der coronabedingte Gewinneinbruch bei den Unternehmen in diesem Jahr ein einmaliges Intermezzo ist und im nächsten Jahr die Gewinne zumindest die alten Niveaus wieder erreichen werden.
Die Anleger haben sich in den letzten Monaten am raschen Anstieg der Aktienkurse nach dem Crash im März erfreut und sich in der Sicherheit der Erleichterung nach dem Lockdown gewiegt. Es war daher gut, dass sie am letzten Donnerstag erschreckt wurden und die Situation wieder mit mehr Respekt beurteilen. Börsentage mit grösseren Verlusten wird es bis zum Ende der Pandemie noch mehr geben. Ich gehe aber nicht davon aus, dass sich die Panik und der Einbruch vom März wiederholt.
Mit diversifiziertem Portfolio in die nächste Phase
Wir wissen besser als im März, wie mit dem Virus umzugehen ist, sowohl medizinisch als auch wirtschaftspolitisch. Die noch zunehmenden wirtschaftlichen Einschränkungen werden spezifischer und flexibler sein. Einen kompletten und flächendeckenden Lockdown über mehrere Monate wird es nicht mehr geben. Dazu kommt, dass die Anleger aus den Erfahrungen vom März gelernt haben. Panikartiges Verkaufen zu jedem Preis hat sich nicht als gute Strategie erwiesen. Die Zahl der Anleger, die Kursrückschläge als kurzfristige Korrektur und als idealen Einstiegszeitpunkt ansehen, ist grösser geworden. Sie haben damit nicht unrecht. Die Corona-Pandemie wird nicht ewig dauern, mit oder ohne Impfstoff. Die Wirtschaft wird sich dann erholen, unterstützt von massiven Fiskal- und Infrastrukturprogrammen der Staaten und einer anhaltenden expansiven Geldpolitik der Zentralbanken.
Die mit der wirtschaftlichen Erholung verbundene Strukturveränderung wird dazu führen, dass verschiedene Firmen überdurchschnittlich profitieren während andere in ihrer Existenz gefährdet sind. Als Anleger kann man versuchen, die Aktien der «Gewinner» zu suchen und diejenigen der «Verlierer» zu meiden. Erfolgsversprechender ist, über die nächsten Jahre mit einem gut diversifizierten Aktienportfolio an der generellen Erholung der Weltwirtschaft zu partizipieren. (SGKB/mc/pg)