von Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank
St. Gallen – Vor einem Jahr hat die Nationalbank versucht, mit der Aufhebung der Euro-Untergrenze ihre geldpolitische Abhängigkeit von der Europäischen Zentralbank zu durchbrechen. Gelungen ist ihr dies nicht. Die Entscheide in Frankfurt haben immer noch die gleiche wegweisende Bedeutung für die SNB wie vorher.
Am 10. März ist es wieder soweit. Die EZB wird den Märkten beweisen müssen, dass sie die von Mario Draghi seit Wochen geäusserten Versprechen einer weiteren geldpolitischen Lockerung in die Tat umsetzen will. Je nach Entscheid bringt dies die Nationalbank unter Druck, ihre Geldpolitik zum Schutze des Frankens ebenfalls zu lockern und ihr Libor-Ziel noch stärker in den negativen Bereich zu drücken. Die Ausgangslage und die Handlungsszenarien sind dabei die gleichen wie im Dezember.
Europäische Zentralbank setzt sich unter Druck
Mario Draghi hat sich wieder so weit aus dem Fenster gelehnt, dass die EZB eine substantielle Ausweitung ihrer Geldpolitik liefern muss, damit der Euro nicht deutlich teurer wird und es zu Kursverlusten bei den europäischen Aktien und Obligationen kommt. Auf der anderen Seite schwächen deutliche Massnahmen der EZB den Euro, was ja das eigentliche Ziel dieser Aktion ist. Mit einem schwachen Euro verbessert sich die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Exporteure und wird eine höhere Inflation importiert. Beides hilft den Zielen der EZB. Ein schwacher Euro bedeutet aber auch die Gefahr eines stärkeren Frankens, was den Zielen der SNB zuwider läuft.
Ich gehe davon aus, dass die SNB im Umfeld des EZB-Entscheides mit Interventionen aktiv den Franken/Euro-Kurs beeinflussen wird. Sie wird versuchen, jegliche Aufwertungstendenz im Keim zu ersticken. Dazu kommt ihr geldpolitischer Entscheid eine Woche später und dieser hängt von den Massnahmen der EZB ab.
Die Szenarien
- Wenn die EZB lediglich eine Ausweitung ihres QE-Programms vornimmt, sei es im Umfang der monatlichen Käufe oder der geplanten Dauer, dann wird die SNB ihr Libor-Ziel auf dem Stand von -0.75% belassen.
- Wenn die EZB den Einlagezinssatz für bei ihr parkierte Gelder von -0.30% auf -0.40% oder -0.50% senkt, aber den «offiziellen» Leitzins, den Refinanzierungssatz, bei 0.05% belässt, bleibt in der Schweiz auch alles beim Alten.
- Sollte die EZB aber den Einlagezinssatz deutlicher senken und gleichzeitig den Refinanzierungssatz um mindesten 0.25% drücken, dann wird die SNB ihr Libor-Ziel auf -1.00% senken, um die negative Zinsdifferenz zum Euroraum aufrecht zu erhalten. Diese Zinsdifferenz spielt in der Politik der SNB eine zentrale Rolle, um den Franken unattraktiv zu machen.
Einlagesatz dürfte weiter sinken
Ich erwarte, dass die EZB den Einlagesatz noch einmal senken wird, aber den Refinanzierungssatz belässt. Gleichzeitig wird sie ankündigen, bei Bedarf noch mehr zu tun. Ob sie ihr QE-Programm zeitlich oder mengenmässig ausweitet, ist unsicher. Dies hat aber keine grosse Bedeutung. (SGKB/mc/pg)
Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Herr Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 30 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kunden-mandaten und Anlagefonds im Umfang von CHF 4,4 Milliarden. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.