St. Gallen – Die Aktienkurse befinden sich auf der Höhe des letzten Sommers oder höher, obschon die wirtschaftliche Dynamik seither nachgelassen hat. Die Zinsen sind auf den tiefsten Stand seit 2016 gesunken und machen keine Anstalten, den Abwärtstrend zu beenden. Damit senden die Obligationen das Signal von Rezessionsbefürchtungen aus, was der optimistischen Haltung der Aktienmärkte widerspricht. Aufgelöst wird dieser Widerspruch durch die gemeinsame Erwartung des Aktien- und des Kapitalmarktes, dass die Zentralbanken auf absehbare Zeit ihre Zinsen konstant tief halten oder im Falle der Fed deutlich senken werden. Begründet wird diese Haltung damit, dass die Inflationsraten tief sind und nicht ansteigen können.
Die aktuellen Inflationsraten liegen in der Tat unterhalb der Zielwerte der Zentralbanken. In den USA ist das von der Fed favorisierte Mass für den Anstieg der Konsumentenpreise in diesem Jahr von 1.95% auf 1.55% gefallen. In der Eurozone beklagt sich Mario Draghi seit Jahren, dass die Kernrate der Inflation um 1% herum pendelt, ohne einen Trend in Richtung der gewünschten 2% erkennen zu lassen. In der Schweiz fühlt sich die SNB mit einer Inflationsrate von 0.7% wohl, hat aber mehr Angst vor einem Fall in Richtung 0% als vor einem Anstieg über die Marke von 2%. Einen Anstieg des Inflationsdruckes für unmöglich zu erklären, ist aber verfehlt. Es gibt verschiedene Anzeichen dafür, dass der Preisanstieg sich in den nächsten Monaten beschleunigen könnte.
Löhne, Rohstoffpreise, Zölle
Dazu zählt der zunehmende Lohndruck. In den USA hat der Anstieg der durchschnittlichen Stundenlöhne seit Anfang 2018 von 2.4% auf 3.2% zugenommen. Die Zahl der offenen Stellen und die Zahl der Leute, die freiwillig ihre Stelle wechseln, nimmt zu. Ein wichtiger Grund für letzteres dürfte ein höherer Lohn sein. In Deutschland steigen die Gehälter um fast 5%, Tendenz steigend. Höhere Lohnkosten sind ein wesentlicher Treiber für höhere Preise der Produkte. Da die Leute mehr verdienen, sind sie zudem auch in der Lage, mehr zu bezahlen.
Ein zweiter Faktor sind höhere Rohstoffpreise. Sowohl der Ölpreis als auch die generellen Rohstoffpreise sind in den letzten Monaten gestiegen. Das gilt insbesondere für die Benzinpreise. Höhere Benzinpreise lassen bei den Konsumenten schnell das Gefühl aufkommen, dass alles teurer werde.
Der dritte Faktor sind die höheren und sich immer weiter ausbreitenden Strafzölle. Die Unternehmen werden versuchen, zumindest einen Teil der damit verbundenen Zusatzkosten weiterzugeben. Die bisherigen Zölle haben nur einen kleinen Teil der von den Konsumenten nachgefragten Produkte betroffen. Zudem wurden bisher Zwischenprodukte besteuert, die nur einen Teil des Endproduktes ausmachten. Sollte Präsident Trump die Strafzölle auf die restlichen Importe aus China und die Autos aus Europa ausdehnen, betrifft dies Endprodukte, die dann deutlich teurer werden.
Saat für höhere Inflationsraten gelegt
Wann und wie stark die Saat aufgeht, hängt auch davon ab, wie gut sich die Konjunktur und damit die Nachfrage nach Gütern halten kann. Da ich in diesem und im nächsten Jahr nicht von einer Rezession ausgehe, werden die Inflationsraten mit der Zeit zunehmen. Einen Sprung nach oben erwarte ich jedoch nicht. Das hat auch Auswirkungen auf die Zinsen. Diese werden tief bleiben, solange die Inflationsraten und Inflationserwartungen tief bleiben. Wenn die Inflationsraten jedoch zunehmen, werden sich die Erwartungen an die Politik der Zentralbanken ändern. Wenn mögliche Zinserhöhungen wieder zu einem Thema werden, werden die langfristigen Zinsen rasch ansteigen. Der Sprung der Rendite im 10-jährigen US-Treasury im Herbst 2016 um 1% innert drei Monaten lässt grüssen. (SGKB/mc/ps)