Die Unruhe an den Finanzmärkten steigt. Hartnäckig hohe Inflationsraten, der bevorstehende Richtungswechsel in der Zinspolitik der Fed und sich zuspitzende politische Unsicherheiten rund um Russland, Nordkorea und China rütteln am Nervenkostüm der Anleger. Da ist der Ruf nach sicheren Anlagen nicht weit. In der Vergangenheit war das die Stunde des Frankens und des Goldes. In den letzten Monaten hörte und las man jedoch vermehrt, dass die Kryptowährungen als Schutz gegen den Unbill der Märkte die ideale Lösung sind. Sind Kryptowährungen das neue Gold?
Sowohl beim Gold als auch bei den Kryptowährungen ist die vorhandene Menge beschränkt und gering. Ein Anstieg der Nachfrage führt damit rasch zu einem deutlichen Kursanstieg, wobei die Schwankungen in der Nachfrage bei den Kryptowährungen grösser sind. Beim Gold gibt es eine Grundnachfrage seitens der Schmuckproduzenten und durch die kleine industrielle Verwendung, welche über die Zeit einigermassen stabil ist. Der entscheidende Faktor für steigende oder fallende Preise ist aber auch beim Gold das Verhalten der Investoren. Sowohl Gold als auch Kryptowährungen werfen keinen Ertrag ab. Materiell sind deshalb beide nicht zwingend eine ideale Anlage zur Erhaltung des Kapitals. Für ihre Werthaltigkeit ist entscheidend, dass das Vertrauen der Investoren in die Beständigkeit des Wertes hoch ist und bleibt.
Die Frage der Stabilität
Während man beim Gold für die Beurteilung des Anlegerverhaltens einen Erfahrungsschatz von Tausenden von Jahren hat, beschränkt sich dieser bei Bitcoin und Konsorten auf maximal fünf Jahre. Der einzige Stresstest war der Corona-Einbruch im März 2020 und der war auch nur von kurzer Dauer. Eine wissenschaftlich begründbare Aussage dazu, ob Kryptowährungen sich in Krisenzeiten als Gegenstück zu fallenden Aktienkursen eignen, lässt sich damit nicht machen. Indikative Beobachtungen lassen aber die Bemerkung zu, dass sich die Kryptowährungen in schwierigen Zeiten an den Aktien orientieren und auch an Wert verlieren. Die Entwicklung in den letzten Tagen war ein gutes Beispiel dafür.
Das Gold hat sich sowohl in der Finanzkrise 2008 als auch im Frühjahr 2020 dagegen als sicherer Hafen bewährt. Beim Gold weiss man ziemlich gut, was den Preis treibt und was den Preis hemmt. Steigende Zinsen und ein steigender US-Dollar drücken den Goldpreis – ein tieferer US-Dollar, sinkende Zinsen und eine steigende Risikoaversion der Anleger lassen ihn steigen. Die Schutzwirkung des Goldes gegen die Inflation wird dagegen überbewertet. Der Schutz des Goldes kommt erst zum Tragen, wenn die Inflationsraten so hoch sind, dass die Zentralbanken geldpolitisch massiv Gegensteuer geben müssen und damit eine Wirtschaftskrise auslösen. In den 1970er-Jahren war dies der Fall. Deshalb stieg der Goldpreis damals stark an und der Mythos des Goldes als Inflationsschutz war geboren. Dass der Inflationsschutz von Kryptowährungen besser sei, ist unwahrscheinlich, da ihnen kein materieller Wert zugrunde liegt.
Spekulation im Zentrum
Bei den Kryptowährungen kommt hinzu, dass die Preise sehr stark schwanken und fast ausschliesslich durch spekulative und kurzfristig orientierte Motive bestimmt werden. Solange der Wert der Kryptowährungen durch Tweets einzelner Personen um mehrere Prozente steigen oder fallen, erübrigt sich die Frage, ob sie das neue Gold sind. Als Sicherheitselement im Portfolio eignen sich Gold und der Schweizer Franken wesentlich besser. (SGKB/mc)
Thomas Stucki, CIO St.Galler Kantonalbank