Von Thomas Stucki, CIO St. Galler Kantonalbank. (Foto: SGKB)
St. Gallen – Spätestens seit die Fed Mitte September die Zinsen nicht angehoben hat, wird die Entwicklung der US‐Wirtschaft mit Argusaugen verfolgt. Dabei bietet sie für jeden etwas. Wer schon immer davon ausgegangen ist, dass die US‐Wirtschaft trotz dem vielen Geld nie mehr auf Touren kommt, fühlt sich von den schwachen Daten aus der Industrie bestätigt. Wer ein solides und breit abgestütztes Wachstum in den USA sieht, verweist auf die Binnenwirtschaft und die Arbeitslosenrate von tiefen 5.1%. Die US‐Wirtschaft ist kein homogenes Gebilde. Unterschiede in den verschiedenen Regionen und in den verschiedenen Sektoren der Wirtschaft sind daher normal und bedürfen eines näheren Blickes.
‐0.9%, 4.6%, 4.3%, 2.1%, 0.6%, 3.9%. Das sind die Wachstumsraten in den USA in den letzten anderthalb Jahren. Grosse Schwankungen sind die Regel, ausgelöst durch unterschiedliche Wetterverhältnisse, unterschiedliche Lage von Feiertagen im Kalender, saisonalen Faktoren und vielem anderem. Wichtiger als das einzelne Quartal ist der Trend. In den letzten 20 Jahren betrug das durchschnittliche BIP‐Wachstum 2.4%. Die aktuelle Entwicklung entspricht ungefähr diesem Durchschnitt. Wachstumsraten von drei Prozent oder mehr über eine längere Zeit sind auch in den USA eine Seltenheit.
Minus
Der seit dem Sommer 2014 um 20% gestiegene US‐Dollar hinterlässt seine Spuren bei den exportorientierten Firmen. Das Gleiche gilt für die Abschwächung der Wirtschaft in China und in vielen Schwellenländern. Hinzu kommt der Rückgang der Investitionen im wichtigen Rohstoffsektor aufgrund der tiefen Rohstoffpreise. Es überrascht deshalb nicht, dass die Daten aus der Industrie wie der ISM Manufacturing Index oder der Philadelphia Fed Index schwächer ausfallen als noch vor ein paar Monaten und ein schwieriges Umfeld anzeigen. Industrielastige Regionen wie Pennsylvania spüren den Gegenwind deutlich stärker als andere Gebiete.
Plus
Auf der anderen Seite ist der Optimismus bei den KMUs wieder am Steigen. Die Stimmung ist zwar noch nicht so gut wie im letzten Herbst, aber deutlich über dem Durchschnitt der letzten Jahre. Das gleiche gilt für den ISM Non‐Manufacturing, der den Dienstleistungssektor abdeckt. Beiden Indikatoren ist gemein, dass sie vor allem durch die wirtschaftliche Situation im Binnenmarkt USA geprägt sind und daher die Verwerfungen im Dollar und in den Schwellenländern weniger spüren. Hingegen profitieren sie stärker von den tieferen Energiepreisen.
Interpretationssache
Dass wirtschaftliche Daten unterschiedlich ausfallen und auch unterschiedlich interpretiert werden, liegt in der Natur der Sache und spielt normalerweise auch eine untergeordnete Rolle. Während eines Wendepunktes in der geldpolitischen Ausrichtung, wie wir ihn in den USA jetzt erleben, gewinnt diese Diskrepanz an den Finanzmärkten aber ungemein an Gewicht. Wenn die Zentralbank dann noch einen zerstrittenen und unsicheren Eindruck hinterlässt, wie dies bei der Fed aktuell der Fall ist, dann führt dies zu grossen und erratischen Bewegungen an den Finanzmärkten.
Schauen wir, dass wir’s hinter uns kriegen
Jede noch so unwichtige und auch unzuverlässige Wirtschaftszahl kann zu kurzfristig unkontrollierten Kursschwankungen führen. Dies ist nicht ungefährlich. Deshalb ist zu hoffen, dass Janet Yellen und ihre Kollegen möglichst rasch wieder den Tritt finden und zu einem entschlossenen Handeln und einer konsistenten Kommunikation zurückfinden. Der Zustand der US‐Wirtschaft ist nicht mehr mit einer Nullzinspolitik vereinbar. Die Fed sollte den Mut aufbringen, den ersten Schritt zu höheren Zinsen zu machen und dann in einen vorsichtigen aber stetigen Zinserhöhungszyklus einschwenken. Dann wäre dieses Thema an den Finanzmärkten endlich vom Tisch, was die Märkte beruhigen würde. (SGKB/mc/ps)