St. Gallen – Als die Nationalbank ihr Libor-Ziel im Dezember 2014 auf -0.25% gesenkt hatte und damit die Negativzinsen ins Leben rief, realisierte das ausser ein paar Geldhändler eigentlich niemand. Als die SNB nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses nachdoppelte und den Libor auf -0.75% drückte, gesellten sich die Banken zum Kreis der Betroffenen. Die Absicherung ihrer Zinsrisiken wurde zum Kostenfaktor und zu einer Belastung. Für die Banken ohne grosses Kreditgeschäft und damit ohne grossen Freibetrag bei der SNB wurde die Liquidität ihrer Kunden zum Problem. Der grösste Teil der Leute spürte von den Negativzinsen aber weiterhin nichts. Sie blieben deshalb ein abstraktes Phänomen.
Ausgehend von der Finanzindustrie breiten sich die Negativzinsen jedoch immer weiter aus. Zuerst betraf es die Obligationen mit einer kurzen Restlaufzeit, deren Renditen in den negativen Bereich sanken. Auf der Suche nach einer positiven Verfallrendite müssen die Anleger immer längere Laufzeiten akzeptieren. Auch bezüglich der Qualität der Schuldner werden immer mehr Konzessionen eingegangen, um zumindest optisch noch etwas zuverdienen. Das führt dazu, dass die Risiken in den Obligationenportfolios, die eigentlich als Sicherheitsanker in schlechten Marktphasen dienen sollten, immer grösser und unübersichtlicher werden. Davon betroffen sind vor allem Anleger mit grossen Obligationenportfolios wie Pensionskassen. Für die breite Bevölkerung ist dies aber immer noch nicht spürbar. Man liest darüber, aber einschätzen kann man die Folgen für sich persönlich nicht.
Kreis der Betroffenen der Negativzinsen nimmt zu
Unter dem Druck der Negativzinsen und der flachen Zinskurve belegen die Banken immer mehr Kundensegmente mit Negativzinsen auf den Konti. Dienten Negativzinsen zuerst nur der Abwehr unerwünschter zusätzlicher Liquidität von institutionellen Investoren und Firmen, werden nun vermehrt auch Konti von Privatpersonen mit hohen Liquiditätsbeständen belastet. Je länger die Phase der Negativzinsen anhalten wird, desto tiefer wird die Grenze des nicht belasteten Freibetrages auf dem Konto sinken und desto mehr Personen werden in den Kreis der Betroffenen aufgenommen werden. Als Folge davon wird der politische Druck gegen die Negativzinsen und damit auf die SNB steigen.
Die ist kein Problem, falls die Negativzinsen wirtschaftlich eine positive Wirkung entfalten. Für eine endgültige Beurteilung dieser Frage ist es noch zu früh, die bisherigen Erkenntnisse sprechen aber nicht dafür. In vielen Volkswirtschaften fallen die Daten für den Konsum gut aus. Die privaten Personen haben Zugang zu Geld und geben dieses auch aus, beispielsweise für neue Autos. Eines der Hauptziele der Negativzinsen ist aber die Ankurbelung der Investitionen der Unternehmen. Diese sind die Grundlage für ein nachhaltiges Wachstum der Wirtschaft. Die Investitionen kommen aber nicht in Fahrt. Zuletzt hat sich auch die Fed darüber besorgt gezeigt.
Zugang zu billigem Geld beschränkt sich auf Kapitalmarktakteure
Die Kreditzinsen der Banken sinken trotz Negativzinsen nicht. Im Gegenteil: Da die Kosten für die Zinsabsicherung steigen, sind die Hypothekarzinsen gar gestiegen. Gewerbebetriebe und kleinere Unternehmen, welche vielerorts das Rückgrat der Wirtschaft bilden, profitieren nicht. Eine wichtige Rolle spielt auch der psychologische Effekt: Negativzinsen sind kein Signal der Stärke. Vielmehr sind sie ein Zeichen der Hilflosigkeit und verbreiten das Gefühl, dass die Lage nicht gut ist. Dies ist kein Umfeld, das zu grossen Investitionen und zum Eingehen von Risiken einlädt. Deshalb wäre es besser, die Zentralbanken würden mit höheren Zinsen ein Signal des Vertrauens in die Stärke und Zukunft der Wirtschaft aussenden. (SGKB/mc/ps)