Die Nationalbank wird am 22. Juni ihren Leitzins weiter anheben. Ich erwarte, dass die Erhöhung um 0.5% auf 2.0% ausfallen wird. Die Inflationsrate sank im Mai auf 2.2% und nähert sich von oben dem Band zwischen 0% und 2%, mit dem die SNB ihren Auftrag zur Erhaltung der Preisstabilität definiert. Trotz weiterhin verbreiteten Preiserhöhungen und absehbar höheren Mieten häufen sich die Anzeichen, dass der Preisdruck in den nächsten Monaten nachlassen wird. Ich gehe deshalb davon aus, dass der Zinsschritt nächste Woche der letzte im aktuellen Zinserhöhungszyklus sein wird.
von Thomas Stucki, CIO der St.Galler Kantonalbank
Ein Zinsniveau von 2% ist zwar noch nicht sehr hoch, aber im Vergleich zu den letzten 10 Jahren eine markante Verschärfung des Finanzierungsumfelds. Die Haushalte und die Unternehmen müssen sich anpassen, was die Wirtschaft und den Immobilienmarkt bremst.
Von einer geldpolitischen Normalität ist die Nationalbank aber noch weit entfernt. Das geldpolitische Konzept der SNB basiert darauf, dass sie über die Steuerung der Geldmarktzinsen der Wirtschaft stimulierende oder bremsende Impulse geben kann. Um die Zinsen zu erhöhen oder zu senken, muss das Geld im Bankensystem zu knapp oder zu üppig sein. Für die Feinsteuerung braucht die SNB ein strukturelles Defizit an Liquidität, welches sie mit ihren täglichen Geldmarktoperationen je nach Zinsziel mehr oder weniger auffüllen kann. So zumindest funktionierte das System bis zur Finanzkrise 2008.
«Überschüssige» Liquidität
Die Banken müssen bei der SNB im täglichen Durchschnitt knapp 23 Mrd. Franken halten, um ihre Anforderungen an die Mindestreserven zu erfüllen. Anrechenbare Aktiven hatten sie im März aber 526 Mrd. Franken, praktisch alles in Form von Giroguthaben bei der SNB. Das sind rund 500 Mrd. Franken zu viel. Diese «überschüssige» Liquidität sucht die bestmögliche Anlage im Geldmarkt zu den höchsten Zinsen. Deshalb muss die SNB den Banken einen Freibetrag an Girogeldern zugestehen, der zum Leitzins von aktuell 1.5% verzinst wird. Ansonsten wäre das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Geld gewaltig und der Zins würde gegen Null tendieren.
Die Verzinsung von Guthaben der Banken ist in anderen Ländern wie den USA ein normaler Teil des geldpolitischen Instrumentariums, für die SNB aber eine ausserordentliche Massnahme. Die Alternative zum Freibetrag ist, dass die SNB die überschüssige Liquidität abschöpft. Seit der Rückkehr zu positiven Zinsen hat die SNB mit Repo-Geschäften und mit der Ausgabe eigener Schuldverschreibungen, den sogenannten SNB-Bills, dem System bereits über 200 Mrd. Franken entzogen. Repo und SNB-Bills sind für die kurz- und mittelfristige Steuerung der Liquidität ideale Instrumente. Über Jahre mehrere Hundert Milliarden Franken damit abzuschöpfen, ist jedoch keine optimale Lösung. Die SNB wird deshalb nicht darum herumkommen, ihre Bilanz zu reduzieren.
Langsame Schrumpfung der SNB-Bilanz
Dazu muss sie den Berg an Devisenreserven über den Verkauf von Fremdwährungen gegen Franken abtragen. Die SNB hat damit bereits begonnen. Im vierten Quartal 2022 hat die SNB netto Devisen für 27 Mrd. Franken verkauft. In diesem Jahr dürfte sie diese Aktionen fortgesetzt haben, wie der Rückgang der Devisenreserven impliziert. Genaue Zahlen hat die SNB noch nicht veröffentlicht.
Die SNB kann mehr Franken zurückkaufen, als ich dem Markt zugetraut habe. Geholfen hat ihr das positive Marktumfeld, welches die Suche nach Franken als sicherer Hafen nicht anregt. Dennoch wird es mit dem aktuellen Tempo Jahre dauern, bis die Bilanz so weit geschrumpft ist, dass die SNB wieder täglich überlegen und entscheiden kann, wieviel Liquidität sie dem Bankensystem zuführen will, um das strukturelle Liquiditätsdefizit zu füllen. Dann wird es auch keine Verzinsung der Giroguthaben mehr geben und die «Normalität» in der Geldpolitik ist wieder hergestellt. (SGKB/mc/pg)