Thomas Stucki, CIO St. Galler Kantonalbank. (Foto: SGKB)
von Thomas Stucki, CIO St. Galler Kantonalbank
St. Gallen – Gut ein Jahr ist vergangen seit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Nationalbank. Viel ist seither geschrieben und spekuliert worden, ob die Aufwertung des Frankens die Schweizer Wirtschaft in die Rezession treibt oder ob diese den Schock mit einem sauren Lächeln absorbieren kann. Es ist Zeit, eine vorläufige Bilanz zu ziehen.
Die Wirtschaft ist im letzten Jahr mit 0.9% gewachsen. Dies ist zwar nur die Hälfte der Prognosen vor dem 15. Januar 2015, aber doch weit von einer Rezession entfernt. Die Auguren sehen für 2016 ein Wachstum von 1.0 bis 1.5% und für 2017 geht das KOF schon wieder von einem Plus von 2.0% aus. Die Exporte steigen im Vorjahresvergleich wieder an, dem starken Franken zum Trotz. Der KOF-Konjunkturbarometer prognostiziert für die nächsten Monate eine über dem historischen Durchschnitt liegende Konjunkturentwicklung. Kann die Aufhebung des Euro-Mindestkurses also in die Geschichtsbücher verbannt werden?
Positive Wirtschaftsprognosen – negativer Stimmung bei den Unternehmen
Dies steht im Widerspruch zu den Kommentaren zu den Firmenabschlüssen, die momentan präsentiert werden. Praktisch überall wird der negative Einfluss des starken Frankens beklagt, das Umfeld als schwierig beschrieben und die Aussichten als durch-zogen beurteilt. Auf politischer Ebene werden vom Bundesrat die unterschiedlichsten Massnahmen gegen die Frankenstärke gefordert und der Nationalrat fühlt sich bemüssigt, eine Sonderdebatte zu diesem Thema durchzuführen. Also geben die Zahlen ein falsches Signal?
Wie so häufig liegt die Wahrheit in der Mitte. Die Schweizer Wirtschaft hat einmal mehr gezeigt, dass sie auf externe Schocks flexibel reagieren und so die negativen Auswirkungen zum grossen Teil absorbieren kann. Eine Verlängerung der Arbeitszeit wäre beispielsweise in den umliegenden Ländern kaum umzusetzen.
Der Wechselkursschock wird noch lange nachwirken
Diese Flexibilität ist umso erfreulicher, da es mit der Finanzkrise 2008 und der Aufwertung des Frankens 2011 bereits der dritte Schock innert sieben Jahren war, der auf die Wirtschaft einprasselte. Die langfristigen Auswirkungen sind aber noch nicht ausgestanden. Der Detailhandel wird weiter mit der billigeren Konkurrenz aus dem Ausland zu kämpfen haben und seine Preise nach unten anpassen müssen. Verlagerungen von Arbeitsplätzen in billigere Länder werden weiter die Nachrichtenspalten füllen. Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz wird ansteigen, mit all ihren negativen Auswirkungen auf die Sozialleistungen der öffentlichen Hand und auf den privaten Konsum. Die Inflationsrate wird weiterhin im negativen Bereich verharren, auch wenn die direkten Effekte der Frankenaufwertung vor einem Jahr und der Sturz der Energiepreise aus der Statistik verschwinden werden. Das heisst, dass der Druck auf die Preise und damit auf die Margen der Unternehmen anhalten wird. Und last but not least werden die Verzerrungen in der Wirtschaft und die Schwierigkeiten der Pensionskassen aufgrund der Negativzinsen umso grösser, je länger dieser Zustand andauert.
Die Schweizer Wirtschaft wird diesen Stresstest überstehen und ihre Stärken ausspielen können. Im Gegensatz zur Finanzkrise und zur Aufwertung des Frankens vor der Einführung des Mindestkurses wird sie aber nicht innert einem Jahr zur Normalität zurückfinden. Die negativen Auswirkungen werden diesmal länger spürbar sein und einen grösseren Kreis der Bevölkerung direkt betreffen. (SGKB/mc/pg)