St. Gallen – Der Weltwirtschaft geht es so gut wie schon lange nicht mehr. Die US-Wirtschaft zeigt sich solide und die Jobmaschinerie läuft auf Hochtouren. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Niveau, das in der Vergangenheit als Vollbeschäftigung galt. In Europa nimmt die Konjunktur immer stärker Fahrt auf. Die Gewinne der Unternehmen sprudeln und treiben die Aktienkurse in bisher nicht gesehene Höhen. Etwas passt aber nicht in das positive Bild: Die Zinsen verharren auf sehr tiefen Niveaus und sind in den letzten Tagen wieder gesunken.
Die Rendite der 10-jährigen US-Treasury Note liegt bei 2.27%. Vor drei Monaten lag sie noch bei 2.60%. In der Zwischenzeit hat die US-Wirtschaft den in den letzten Jahren üblichen Winter-Blues überwunden und wächst wieder stärker. Dennoch zweifeln die Finanzmärkte an weiteren Zinserhöhungen der Fed. Einem weiteren Zinsschritt in diesem Jahr wird nur noch eine Wahrscheinlichkeit von 40% gegeben.
Inflation bleibt weltweit tief
Der Grund liegt darin, dass die Inflation trotz zunehmenden Engpässen bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeitenden nicht steigen will. Die von der Fed als Inflations-indikator bevorzugte Kernrate der persönlichen Konsumausgaben ist von 1.9% auf 1.5% gefallen. Die Fed selbst lässt aber keinen Zweifel daran, dass sie mit einer restriktiveren Geldpolitik fortfahren will. Ich gehe deshalb davon aus, dass sie in diesem Jahr die Zinsen noch einmal erhöht und mit der Reduktion ihrer Bilanzsumme beginnen wird.
In Europa sieht es ähnlich aus. Die Wirtschaft in der Eurozone wächst seit mehr als drei Jahren mit rund 0.5% pro Quartal. Bisher wurde das Wachstum vor allem von Deutschland und den osteuropäischen Ländern getrieben. In den letzten Quartalen kamen mit Spanien und Portugal zusätzliche Länder hinzu, die überdurchschnittlich stark wachsen. Selbst die Problemländer Italien und Frankreich konnten Fortschritte erzielen.
Warten auf Zinserhöhung in Europa
Dennoch steigen die Zinsen nicht wesentlich an. Die Rendite der 2-jährigen deutschen Schatzanleihe liegt immer noch bei -0.68%. Bei einer Inflationsrate in Deutschland von 1.7% bedeutet das eine negative Realrendite von fast 2.4%! Die Finanzmärkte spekulieren zwar über eine restriktivere Geldpolitik der EZB. Dabei geht es aber nur darum, ob die Währungshüter in Frankfurt weniger Geld ausgeben oder nicht. Zinserhöhungen werden bis Mitte 2018 keine erwartet.
Bis die Geldmarktsätze von aktuell -0.3% wieder in den positiven Bereich steigen, dauert es gemäss den Erwartungen der Futures bis in den September 2019. Im Gegensatz zur Fed unterstützt Mario Draghi die Haltung, dass trotz solider Wirtschaft und sinkenden Arbeitslosenrate die EZB noch sehr lange die Zinsen nicht anheben wird. Der Grund liegt auch hier darin, dass die Kernrate der Inflation nicht steigen will. Ich erwarte dennoch, dass für die EZB die erste Zinserhöhung im zweiten Halbjahr 2018 ein Thema wird.
Geschichte der Schweiz schnell erzählt
Sie gleicht einer Wiederholung des bereits Gesagten. Die Wirtschaftsdynamik nimmt zu. Die Inflation ist trotzdem tief und die SNB denkt nicht daran, die Negativzinsen aufzuheben. Daran ändert auch der Anstieg des Eurokurses auf 1.15 nichts. Die SNB muss und wird warten, bis sich die EZB in der Zinsfrage bewegt.
Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Herr Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 35 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kunden-mandaten und Anlagefonds im Umfang von 6,0 Milliarden Franken. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.