Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank. (Foto: SGKB)
St. Gallen – Investment view von Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank, nach der Aufhebung des Mindestkurses. «Die SNB hat die Untergrenze von 1.20 Euro in Franken aufgehoben. Darüber reden alle. Sie hat gleichzeitig auch das Zielband für den Dreimonats‐Libor auf ‐1.25% bis ‐0.25% reduziert. Während die Aufhebung der Untergrenze mit viel Getöse Einzug hielt, schleichen sich die Negativzinsen auf leisen Sohlen an. Sie sind aber die wahren Verwandlungskünstler und normalisieren auf den zweiten Blick die Geldpolitik.
Die Untergrenze von 1.20 war ein zentraler Baustein der SNB‐Geldpolitik in den letzten drei Jahren. Aus der Eurokrise geboren, sollte sie die Überbewertung des Frankens zum Euro mildern und einen Import von Deflation verhindern. Nun ist die Gefahr einer deflationären Tendenz in der Schweiz mit einer negativen SNB Inflationserwartung keineswegs gebannt. Die Untergrenze scheint in den Augen der SNB nicht mehr das optimale Instrument zu sein. Um die monetären Rahmenbedingungen nicht unnötig zu straffen, hat die SNB darum das Zielband für den Dreimonatslibor nach unten angepasst. Die Aufhebung der Untergrenze ist also eigentlich ein Schritt zurück in die geldpolitische Normalität, weg von Deviseninterventionen wieder hin zu einer Zinspolitik. Der Schritt in die Normalität startet mit einem geldpolitischen Ausnahmezustand.
Zinsen im tiefroten Bereich
Dass die SNB ihr Zielzinsband nach unten genommen hat, ging nicht spurlos an den Zinsmärkten vorbei. Über alle Laufzeiten sind die Zinsen gesunken. Am stärksten hat der 2‐ahres Swap reagiert. Dieser Zinssatz spiegelt die Markterwartung an die Geldpolitik. Inzwischen ist auch der Dreimonatslibor ins Zielband gerutscht. Bemerkenswert ist auch der Zins für den zehnjährigen Eidgenoss. 0.076% muss die Schweiz am Kapitalmarkt für einen Kredit mit einer Laufzeit von zehn Jahren bezahlen. Dieses Zinsniveau ist im Hinblick auf die konjunkturelle Entwicklung grotesk, im Verhältnis zur Inflationsentwicklung und –erwartung aber nachvollziehbar.
Richtungswechsel: Die Rückkehr zur Zinspolitik
Die Einführung von Negativzinsen hat am Devisenmarkt die kurzfristige Wirkung verfehlt. Die SNB konnte die ausländischen Investoren nicht vom Kauf von Schweizer Franken abhalten. Bei den Zinsen fiel die Reaktion verhältnismässig milde aus. Das Zinsbild hat sich akzentuiert und die bereits extrem tiefen Zinsen sind noch einmal gesunken. Die Gretchenfrage ist also, ob dieser Trend noch andauern kann. Und dieses Szenario ist gar nicht so unwahrscheinlich. Nachdem die SNB die Untergrenze aufgegeben hat, wird sie sich wieder auf eine Zinspolitik konzentrieren und entsprechend ihre Geldpolitik über das Zielband für den Libor führen. Das bedeutet, dass eine weitere Reduktion des Zielbandes möglich ist, falls sich die Situation rund um die negative Teuerung, die Konjunkturschwäche in der Eurozone oder die extrem expansive Geldpolitik der EZB akzentuiert. Denn der Griff zu Deviseninterventionen fällt weg.
Vor allem muss das SNB-Direktorium auch wieder Vertrauen aufbauen. Der Überraschungscoup und vor allem die eher dünne Argumentation zur Aufhebung der Untergrenze haben die SNB viel Goodwill und Vertrauen gekostet. Sie muss nun beweisen, dass sie noch immer Herr der Lage ist. Darum wird sie weiterhin aktiv sowie ausserordentlich agieren und ist für eine Überraschung gut.» (SGKB/mc/pg)