Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy.
Madrid – Spanien gibt dem internationalen Druck nach und flüchtet als viertes Land der Eurozone unter den europäischen Rettungsschirm. Zur Lösung seiner Bankenkrise kann Madrid auf Notkredite von bis zu 100 Milliarden Euro bauen. Das vereinbarten die Finanzminister der Eurozone am Samstag in einer dreistündigen Telefonkonferenz. Der Beschluss fiel eine Woche vor der ungewissen Wahl in Griechenland – und soll den Märkten signalisieren, dass Europa die ausufernde Finanzkrise in den Griff bekommt.
Die Spanien-Hilfe ist eine Premiere: Anders als in Griechenland, Portugal und Irland wird es erstmals spezielle Hilfen zur Stabilisierung des wankenden Bankensystems geben. Damit entgeht die viertgrösste Volkswirtschaft der Eurozone den in Madrid befürchteten strengen Auflagen und Kontrollen seines Staatsbudgets. Aber Spanien muss seinen Bankensektor reformieren und für marode Geldhäuser Sanierungspläne vorlegen. Das könnte im Extremfall auch die Schliessung einzelner Institute bedeuten. Die Auflagen werden sich an den EU-Beihilferegeln orientieren.
«Die Kredite werden umfangreich genug sein, um einen Damm zu bilden, der alle möglichen Kapitalbedürfnisse auffangen kann», heisst es in einer Erklärung der Minister. «Die Kreditsumme muss alle geschätzten Kapitalbedürfnisse plus eine zusätzliche Sicherheitsmarge umfassen, was sich schätzungsweise auf insgesamt bis zu 100 Milliarden Euro summiert.» Die Notkredite werden an den spanischen Bankenrettungsfonds Frob fliessen, der es an notleidende Banken weitergebe. Verantwortlich für die Rückzahlung werde die spanische Regierung sein.
Weltweite Erleichterung
Die Hilfsaktion für Spanien löst weltweit Erleichterung aus: US-Finanzminister Timothy Geithner sprach von einem konkreten Schritt auf dem Weg zu einer Fiskalunion, die für die Belastbarkeit der Eurozone lebenswichtig sei. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, erklärte, die Höhe der Notkredite von bis zu 100 Milliarden Euro passten zu dem vom IWF festgestellten Kapitalbedarf. Der IWF hatte bei bisherigen europäischen Rettungsaktionen stets rund ein Drittel der Finanzlasten getragen. Bei der Hilfe für Spanien würden allein die Europartner Kredite geben.
Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy sprach am Sonntag von einem Erfolg für Europa. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble betonte, dank bisheriger Reformen seien die grössten spanischen Banken gut durch die Krise gekommen und stünden stabil da. «Ein Teil des Finanzsektors muss jedoch noch die Nachwirkungen des Platzens der spanischen Immobilienblase verarbeiten, was aufgrund der damit erforderlichen Abschreibungen zu einem nicht unerheblichen Kapitalbedarf führt», liess Schäuble mitteilen.
Ein offizieller Antrag wird von Madrid erst in den nächsten Wochen vorgelegt, wenn der genaue Kapitalbedarf beziffert werden kann. Die Regierung wartet dazu nach den Worten von Wirtschaftsminister Luis de Guindos noch auf zwei Gutachten der Beratungsgesellschaften Oliver Wyman (USA) und Roland Berger (Deutschland). Diese sollen noch im Juni kommen, sagte de Guindos. Rajoy sagte zur Summe von 100 Milliarden Euro: «Die Erfordernisse des spanischen Bankensektors sind nicht so gross. Aber die spanische Regierung entschied, um ein zusätzliches Polster zu bitten. Damit sollte für die Märkte ein klares Zeichen gesetzt werden.»
Schrittweise Vertrauen zurückgewinnen
Der spanische Bankensektor benötigt nach IWF-Einschätzung einen akuten Krisenpuffer von mindestens 40 Milliarden Euro. Das geht aus einem IWF-Bericht über die Stabilität des spanischen Finanzsystems in Washington hervor. Der tatsächliche Kapitalbedarf sei wegen möglicher Kosten für Restrukturierungen und Kreditausfälle sogar bis zu doppelt so hoch, sagte eine IWF-Mitarbeiterin in einer Telefonkonferenz. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Währungskommissar Olli Rehn sicherten Madrid die Unterstützung der EU-Kommission zu. «Wir sind sicher, dass Spanien schrittweise das Vertrauen der Investoren und Marktteilnehmer zurückgewinnen kann.»
Der Rettungsfonds EFSF kann Staaten auch Notkredite gewähren, um taumelnden grossen Banken zu helfen. Bei solch einer «weichen Rettung» würde das Geld ausschliesslich für den Finanzsektor eingesetzt. Entsprechend sind die Auflagen niedriger als bei Hilfsgeldern für den Staatshaushalt als Ganzes. So müsste Spanien den Bankensektor reformieren und für die betroffenen Banken Sanierungspläne erstellen.
Vier Länder unter dem Rettungsschirm
Nach Vorlage eines Antrags muss zunächst die EU-Kommission mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und der EU-Finanzaufsicht prüfen, ob die Voraussetzungen für EFSF-Kredite an Spanien zur Bankenrekapitalisierung vorliegen. Erst danach kann die Eurogruppe die Hilfe billigen.
Aus dem EFSF erhalten bereits die drei Länder Portugal, Irland und Griechenland Nothilfen für den Haushalt als Ganzes. Sie müssen dafür weitreichende Reform- und Sparauflagen – nicht nur in der Bankenbranche – einhalten. Spanien kämpft gegen eine massive Bankenkrise und steckt in der Rezession. Allein die Krisenbank Bankia will vom Staat für seine Sanierung insgesamt mehr als 23 Milliarden Euro. Vor allem eine Vielzahl «fauler» Immobilienkredite hat die Bankenbranche in die Krise gestürzt.
Der Staat, der selbst unter einer hohen Schuldenlast ächzt, hat das Geld zur Bankenrettung nicht in der Kasse. Er kann es sich auch nicht ohne weiteres auf den Kapitalmärkten besorgen, weil Spanien – wie Finanzminister Christóbol Montoro zuletzt selbst einräumte – dort keine Kredite zu erschwinglichen Bedingungen mehr erhält. (awp/mc/upd/ps)