Stefan Hirzel, Leiter Banking bei Zühlke Schweiz, im Interview

Stefan Hirzel

Stefan Hirzel, Leiter Banking bei Zühlke Schweiz. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Hirzel, Zühlke hat die Financial Literacy der Schweizer Bankkunden untersucht. Was gehört nach Definition zu dieser Allgemeinbildung in Sachen Finanzen?

Stefan Hirzel: Grundsätzlich geht es dabei um Basiswissen, welches Bankkundinnen und Kunden erlaubt, selbständig und fundiert Entscheidungen im Bereich der privaten Finanzplanung zu treffen.

Nach diesen Messwerten versteht zum Beispiel über die Hälfte der Schweizer Bankkunden die meisten Geldanlageprodukte nicht. Hat Sie das Resultat überrascht?

In dieser Deutlichkeit schon. Dass hier Aufholbedarf besteht, war uns aber klar.

Gibt es typische Finanztypen im Bereich des persönlichen Finanzmanagement?

Absolut, unsere Umfrage zu Financial Literacy hat auch eine Typologisierung im Bereich Finanzmanagement ergeben. Die Kundinnen und Kunden von Banken lassen sich grundsätzlich in fünf Gruppen einteilen. Bei gewissen dieser Typen zeigen sich deutliche sozio-demographische
Ausschläge nach Geschlecht, Alter und Einkommen:

  1. Die klassische Sparerin; zu 56 % weiblich und zu 51 % über 40 Jahre.
  2. Die übervorsichtige Sparerin; zu 56% weiblich und zu 60 % über 50 Jahre.
  3. Der umsichtige Anleger; zu 74% männlich und zu 59 % über 40 Jahre.
  4. Der sorglose Konsumfreudige; zu 58% männlich und zu 74% unter 40 Jahre.
  5. Die Ausweglose; zu 66 % weiblich und zu 60 % unter 40 Jahre.

Erhebungen zur Financial Literacy zeigen in den meisten Fällen, dass die Finanzkompetenzen mit zunehmendem Alter deutlich steigen, Männer signifikant höhere Werte aufweisen als Frauen und dass die Ausbildung eine grosse Rolle spielt. Kam Ihre Studie zu ähnlichen Erkenntnissen?

Durchaus, das zeigen die verschiedenen Finanztypen. Und auch die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind laut der Umfrage deutlich. So erklären 33 Prozent der Männer, sich nicht gut genug auszukennen, um in Aktien und ETFs zu investieren, aber 46 Prozent der Frauen. Verluste scheuen ein Viertel der männlichen und ein gutes Drittel der weiblichen Befragten. Männer legen laut der Studie ihr Geld auch deutlich häufiger in Aktien, Fonds oder auch Kryptowährungen an als Frauen. Während 26 Prozent der Männer in Aktien investieren, sind es bei den Frauen lediglich 15 Prozent. Bitcoin oder Ethereum haben 25 Prozent der Männer und zehn Prozent der Frauen im Portfolio.

«Auch die Banken müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und entsprechende Angebote entwickeln und bereitstellen.»
Stefan Hirzel, Leiter Banking bei Zühlke Schweiz

Die Werte in Ihrer Studie sind vergleichbar mit denen in Deutschland oder Österreich. Müssten die finanziellen Kenntnisse in Anbetracht dessen, dass Schweizerinnen und Schweizer in vielen finanziellen Bereichen (Krankenversicherung, Kapitalbezug, Altersvorsorge) viel mehr selbst entscheiden müssen, hierzulande nicht besser sein?

Ja. Unser System verlangt ein hohes Mass an Eigenverantwortung. Diese wiederum setzt ein gewisses Know-how voraus. Hier sind unsere Gesellschaft, aber auch das Bildungswesen gefordert. Und auch die Banken müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und entsprechende Angebote entwickeln und bereitstellen.

Inwieweit überschätzen sich die Menschen? 70 Prozent der Befragten haben ja auch das Gefühl, sich gut oder eher gut mit dem Thema Finanzanlage auszukennen, aber z.B. nur 34 Prozent schätzen den Effekt der Inflation richtig ein.

Selbstüberschätzung gehört wohl in vielen Bereichen des Lebens zu den menschlichen Eigenschaften. Innovative Technologien und Ansätze im Bereich der künstlichen Intelligenz können hier Gegensteuer geben und entsprechende Irrtümer oder blinde Flecken früher und besser sichtbar machen.

«Schweizerinnen und Schweizer sparen für Notfälle, Ferien und Altersvorsorge. Kapitalanlage nennen lediglich 18 Prozent als Sparziel.»

Von systematischer Vermögensbildung ist wenig zu erkennen. Gehört der Aufbau von Vermögen überhaupt zu den Zielen?

Unsere Studie zeigt: Schweizerinnen und Schweizer sparen für Notfälle, Ferien und Altersvorsorge. Kapitalanlage nennen lediglich 18 Prozent als Sparziel. Ein Viertel legt dafür monatlich mehr als 500 Franken zurück. 30 Prozent allerdings sparen weniger als 100 Franken, 10 von 100 Schweizerinnen und Schweizer schaffen nicht einmal das. Hauptgrund: «Sparen ist finanziell nicht möglich». Dazu passt, dass viele längst die Übersicht verloren haben und ihr Geld nach Bauchgefühl ausgeben – obwohl sie in finanziellen Fragen eigentlich langfristig denken möchten (79 Prozent).

Woher rührt Ihrer Meinung nach der Gap?

Menschliches Verhalten ist häufig geprägt von Widersprüchlichkeiten. Die Ergebnisse zeigen jedoch auch, dass die Kundinnen und Kunden nicht individuell durch die Finanzinstitute beim Vermögensaufbau unterstützt werden. Hier müssten die Banken ansetzen.

Wie werten Sie die Resultate der Studie darüber hinaus im Sinne einer Handlungsempfehlung für Finanzinstitute?

Unsere Umfrage zeigt eindrücklich, dass Schweizer Banken gut daran täten, das Thema Financial Literacy prioritär zu behandeln. Denn hier besteht tatsächliches Differenzierungspotenzial. Ihre unterschiedlichen Zielgruppen erwarten eine personalisierte Ansprache sowie neue Services und Weiterbildungsangebote – auch in Kombination mit Gamifaction-Aspekten. Auch das Metaverse bietet im Bereich der Finanzbildung neue Möglichkeiten, mit welchen sich Banken bereits heute auseinandersetzen sollten.

«Unsere Umfrage zeigt eindrücklich, dass Schweizer Banken gut daran täten, das Thema Financial Literacy prioritär zu behandeln.»

Welche Schwerpunkte sollten sie dabei setzen?

Auf Basis der Umfrage-Ergebnisse haben wir drei Felder identifiziert, in die Banken investieren sollten, um einen Mehrwert für Ihre Kundinnen und Kunden im Bereich der Financial Literacy zu generieren. Dazu gehören Investitionen in datengetriebene Services, mehr Hyperpersonalisierung an den Schnittstellen sowie eine grundsätzliche Strategie zum möglichen Schritt ins Metaverse.

Herr Hirzel, besten Dank für das Interview.

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