Die weltweiten Zinsen befinden sich in einem Unterbietungswettlauf, da die grossen Zentralbanken die Geldpolitik lockern, um das Wachstum zu stimulieren. Was als Intermezzo der Federal Reserve begann, hat sich zu einer Situation entwickelt, in der sich fast jede grosse Zentralbank angesichts der Konjunktursorgen vorsichtig verhält. Diese taubenhafte Ausrichtung ist der Beginn einer neuen Regelung für festverzinsliche Wertpapiere. Es wird von mehreren Zentralbanken erwartet, dass sie die Geldpolitik in den kommenden Monaten lockern werden, darunter die Europäische Zentralbank (EZB).
Länder wie Australien und Chile haben ihre Bereitschaft zum frühzeitigen Handeln unter Beweis gestellt, was eine Welle internationaler Investoren in ihre lokalen Anleihemärkte gelockt und die Kurse deutlich nach oben getrieben hat. Angesichts des Ausmasses der Rallye scheint es an der Zeit, in diesen Märkten einen Teil der Gewinne mitzunehmen.
Als Reaktion auf die gestiegenen Erwartungen an eine akkommodierendere Haltung der Zentralbanken gab es an den globalen Obligationenmärkten deutliche Kursanpassungen. In einigen Ländern, wie beispielsweise den USA, werden nun mehrere Zinssenkungen erwartet, so dass inzwischen darüber diskutiert wird, ob die Preisbildung an den Märkten zu extrem geworden ist.
Was die Eurozone anbelangt, so wächst die Erwartung, was die EZB angesichts sprudelnden Überraschungen in der Vergangenheit während der verbleibenden Amtszeit von Präsident Mario Draghi leisten kann, die am zum 31. Oktober endet. Da die Inflation in der Nähe des niedrigsten Niveaus seit der Einführung des Euro liegt, könnte das Abschiedsgeschenk von Herrn Draghi eine Senkung der Einlagenzinsen im September dieses Jahres sein. Zudem könnte die Tür für seine Nachfolgerin geöffnet werden, die monetäre Lockerung noch weiter auszubauen.
«Das Abschiedsgeschenk von Herrn Draghi könnte eine Senkung der Einlagezinsen im September dieses Jahres sein.»
Der Markt konzentriert sich ausschliesslich auf den positiven Aspekt weiterer quantitativer Lockerungen. Die sich zunehmend verschlechternde Lage in Italien etwa wird derzeit übersehen. Die bevorstehenden Haushaltsgespräche im Jahr 2020 könnten die Aufmerksamkeit der Anleger wieder auf die sich verschlechternden Fundamentaldaten Italiens lenken, was dessen Anleihen wieder in die Schusslinie bringen könnte.
In Osteuropa dürften die Anleihemärkte indirekt von den lockeren monetären Bedingungen der EZB profitieren. Länder wie Serbien und Rumänien ragen als diejenigen heraus, in denen sich die Zinssätze mittelfristig nach unten bewegen könnten. Die Suche nach Rendite könnte auch auf Euro lautende Staatsanleihen von Ländern wie Litauen, Lettland und die Tschechische Republik begünstigen, falls die EZB ihre Zinspolitik akkommodierender gestalten sollte.
Auch die Anleihemärkte haben sich stark erholt und gehören zu den bisher leistungsstärksten festverzinslichen Anlageklassen im Jahr 2019. Die ist aber nur eine Seite der Medaille, weil die Performance von Unternehmensanleihen eher von der Suche nach Rendite als von einer Verbesserung der Fundamentaldaten getrieben wurde – was die Bewertungen unter den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen teuer erscheinen lässt.
Vor diesem Hintergrund ist es verlockend, hinsichtlich der Perspektiven für Unternehmensanleihen pessimistisch zu sein. Gleichwohl ist es möglich, dass das derzeit günstige Umfeld, insbesondere in Europa, noch eine Weile anhalten wird. Europäische Unternehmensanleihen könnten noch teurer werden, wenn der Markt weiterhin glaubt, dass die EZB ein neues Anleihekaufprogramm aus dem Hut ziehen könnte. Nach den letzten zwei bis drei Jahren, in denen darüber nachgedacht wurde, wie weit die Zinsen steigen könnten, stellt sich nun für alle Anleihe-Investoren die Frage: Wie tief können die Zinsen fallen?