EZB-Sitz im Eurotower in Frankfurt am Main. (© VRD – Fotolia.com)
Frankfurt am Main – Aus Angst vor deflationären Tendenzen macht die Europäische Zentralbank (EZB) Geld im Euroraum noch billiger: Nach der Senkung der Leitzinsen um 25 Basispunkte auf das Rekordtief von 0,25 Prozent erklärte Notenbankchef Mario Draghi am Donnerstag in Frankfurt, die EZB erwarte «eine anhaltende Periode niedriger Inflation im Euroraum». Analysten und Finanzmärkte wurden völlig auf dem falschen Fuss erwischt.
Der Ausleihungssatz, zu dem sich die Banken über Nacht bei der Notenbank Geld besorgen können, wurde um ebenfalls um 0,25 Punkte auf 0,75 Prozent reduziert. Dadurch kommen die Kreditinstitute noch günstiger an frisches Geld. Der Einlagensatz, den die Notenbank den Geschäftsbanken für kurzfristige Einlagen zahlt, bleibt dagegen unverändert bei null Prozent.
Inflationsrisiken langfristig «fest verankert»
Ökonomen hatten schon länger vor einem Teufelskreis aus niedrigem Preisauftrieb, schwachem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit gewarnt. Europas Währungshüter fürchten hingegen keine solche Abwärtsspirale. «Wenn wir Deflation verstehen als einen weit verbreiteten Verfall von Preisen in vielen Warengruppen und in mehreren Ländern – das sehen wir nicht», sagte Draghi nach der historischen Zinssenkung.
Mittel- bis langfristig blieben die Inflationserwartungen «fest verankert», betonte Europas oberster Währungshüter. Die Risiken, die auf längere Sicht von der geringen Teuerung ausgingen, seien «weitgehend ausgewogen». Die Kreditdynamik in der Währungszone bezeichnete Draghi abermals als «schwach».
Billiggeld-Versprechen erneuert
Um die zarte Wirtschaftserholung in der Eurozone nicht im Keim zu ersticken, will die EZB die Konjunktur noch lange mit ultrabilligem Geld ankurbeln. Draghi erneuerte das Niedrigzinsversprechen («Forward Guidance»), das er den Finanzmärkten Mitte des Jahres gegeben hatte . Der Rat der Notenbanker gehe davon aus, dass die Zinsen im Euroraum für einen längeren Zeitraum auf dem aktuellen Niveau oder darunter liegen werden.
Die Geschäftsbanken im Währungsraum können darüber hinaus auf absehbare Zeit auf unbegrenztes Zentralbankgeld zählen. Zwar ist eine neue Runde der Notkredite mit ungewöhnlich langer Laufzeit («Long Term Refinancing Operation» – LTRO) laut Draghi nicht ernsthaft im EZB-Rat diskutiert worden. Allerdings sollen Banken bis mindestens Mitte 2015 soviel Billiggeld wie sie für nötig halten von der EZB bekommen.
EZB-Rat nicht einstimmig für Zinssenkung
Draghi liess durchblicken, dass die Zinsentscheidung im Rat nicht einvernehmlich gefallen ist. Man sei sich einig gewesen, dass gehandelt werden müsse, jedoch habe es Unstimmigkeiten über den Zeitpunkt gegeben. Eine Diskussion über den derzeit hohen Wechselkurs des Euro, der die Exporteure im Währungsraum belastet, habe es nicht gegeben.
Unmittelbar nach der überraschenden Leitzinssenkung hatten bereits die ersten Analysten Bedenken angemeldet. Ob dieser Schritt «das adäquate Mittel ist, um Abhilfe zu schaffen, darf bezweifelt werden», kommentierte Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. «Umso mehr stellt sich die Frage, ob die EZB in den kommenden Monaten noch mit weiteren Massnahmen nachlegen wird.»
Handfeste Überraschung für Experten
«Auch wenn es die eine oder andere Spekulation über eine solche Massnahme gegeben hatte, kommt der Zinsschritt – zumal ohne Vorankündigung und zu diesem Zeitpunkt – nun doch recht überraschend», sagte Analyst Mario Gruppe von der NordLB. «Der Eurotower wird damit mehr und mehr zum Taubennest.» Als Tauben werden Notenbanker bezeichnet, die sich für eine sehr lockere Geldpolitik einsetzen.
An den Finanzmärkten rief der überraschende Schritt der EZB massive Reaktionen hervor. Der Euro fiel um bis zu zwei Cent auf ein Tagestief von 1,3295 US-Dollar. Zuletzt stand die Gemeinschaftswährung leicht erholt bei 1,3360 Dollar. Auch zu vielen anderen wichtigen Währungen wie dem japanischen Yen oder dem britischen Pfund fiel der Euro stark zurück.
Dow Jones auf Rekordhoch
An den europäischen und US-Aktienmärkten wurde die abermalige Verbilligung von Zentralbankgeld in Kombination mit robusten US-Wachstumsdaten gefeiert. Der Dow-Jones-Index stieg mit 15.797 Punkten auf ein neues Rekordhoch.
Auch an den Anleihemärkten stellten sich spürbare Gewinne ein. Am stärksten fielen sie in den Krisenländern Spanien und Italien aus. Den dortigen Banken kommt die Zinssenkung besonders zugute, weil sie immer noch stark von der Refinanzierung bei der Notenbank abhängig sind. (awp/mc/upd/ps)