Trichets Pläne lassen europaweit aufhorchen

Trichets Pläne lassen europaweit aufhorchen
Jean-Claude Trichet, ehemaliger Präsident Europäische Zentralbank EZB (bis 31.10.2011)

EZB-Präsident Jean-Claude Trichet.

Aachen – Mit seiner Idee eines gemeinsamen EU-Finanzministeriums hat EZB-Chef Jean-Claude Trichet europaweit aufhorchen lassen. Für die Bundesregierung ist seine Vision aber «derzeit kein Thema», wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin sagte. Die bestehenden Probleme müssten mit den bestehenden Mitteln und Möglichkeiten gelöst werden.

Trichet habe selbst von einem «Gedanken für Übermorgen» gesprochen, und dies sei in der Tat ein «längerfristiges Projekt», sagte Seibert. Der Chef der Europäischen Zentralbank hatte bei der Verleihung des Aachener Karlspreises am Donnerstag erstmals die Idee eines EU-Finanzministeriums ins Spiel gebracht, das für die gesamte Euro-Zone zuständig sein soll. Dieses könne die Haushaltspolitik der Staaten überwachen, den Finanzsektor integrieren und die EU in internationalen Gremien repräsentieren.

Trichet für Verdienste um die Währungsunion geehrt
«Es müsste nicht notwendigerweise ein Finanzministerium sein, das ein grosses föderales Budget verwaltet, sondern ein Ministerium, das direkte Verantwortung in mindestens drei Bereichen hat», sagte der 68-Jährige, dessen Amtszeit im Herbst endet, in seiner Dankesrede. Trichet erhielt den renommierten Preis für seine Verdienste um die Währungsunion. Ausserdem verlangte der Franzose deutlich schärfere Sanktionsmöglichkeiten für Euro-Schuldenstaaten: Notfalls sollten EU-Institutionen in die nationale Wirtschaftspolitik eingreifen können. «Wir brauchen jetzt einen Quantensprung.» Er könne sich ein Vetorecht der EU-Gremien gegen Haushaltsentscheidungen des betroffenen Landes vorstellen, sagte Trichet.

Mehr in Belange von Schuldensündern hineinregieren
Die Vorschläge des Chefs der Notenbank EZB gehen weit über das derzeitige System aus Überwachung, Empfehlungen und Sanktionen hinaus, das Trichet schon mehrfach als unzureichend kritisiert hat. Sie laufen im Kern darauf hinaus, dass künftig mehr in die Belange von Schuldensündern hineinregiert werden sollte. Zwar sollten Wackelkandidaten in einem ersten Schritt finanziell unterstützt werden. Falls ein Land aber anschliessend nicht ausreichend spare, soll beispielsweise der EU-Ministerrat – nach einem Vorschlag der EU-Kommission und in Zusammenarbeit mit der EZB – verpflichtende Wirtschaftsentscheidungen für das Land treffen können. In der Unionsfraktion stiess Trichets Idee eines gemeinsamen Finanzministeriums auf Ablehnung. Der finanzpolitische Sprecher Klaus-Peter Flosbach sagte «Handelsblatt Online», der Einrichtung neuer Behörden stehe er grundsätzlich skeptisch gegenüber. «Was die bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Eurozone anbelangt, sind wir ja gerade dabei, das Instrumentarium deutlich zu verbessern», fügte er hinzu.

Brüssel hüllt sich in Schweigen
Die EU selbst hüllte sich am Freitag in Schweigen. «Kein Kommentar», sagte ein Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn, und fügte hinzu: «Unsere Vorschläge für eine verstärkte Wirtschaftsregierung sind bekannt.» Damit verwies er auf die Bemühungen um eine koordinierte Wirtschaftspolitik und schärfere Sanktionsmöglichkeiten gegen Schuldensünder. In Paris gab es zunächst keine offizielle Reaktion auf den Trichet-Vorstoss. Französische Medien reagierten mit Skepsis. Der regierungsnahe «Figaro» kommentierte unter der Überschrift: «Trichets kühnes Testament»: «Wer hätte dem stets vorsichtigen Jean-Claude Trichet die Fähigkeit zugetraut, solch einen Stein in Europas Meer zu schleudern?» Fünf Monate vor Ablauf seines Mandates habe er eine Art Testament abgeliefert, das starke Reaktionen der EU-Staaten provozieren dürfte.

«Stärkung der Regeln höchste Priorität»
In seiner überwiegend in Deutsch gehaltenen Rede nannte Trichet das hochverschuldete Griechenland nicht ausdrücklich. Er spielte aber auf die Lage dort an. Zuletzt hatten Rating-Agenturen die Kreditwürdigkeit des von der Pleite bedrohten Landes erneut gesenkt. Athen wurde im vergangenen Jahr mit einem Hilfspaket von 110 Milliarden Euro von den Euro-Partnern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem Bankrott gerettet und benötigt nun erneut Kredite, weil die Sparauflagen nicht eingehalten wurden. «Um unsolide Wirtschaftspolitik zu vermeiden, hat die Stärkung der Regeln höchste Priorität», betonte Trichet. Diese Regeln müssten verhindern, dass einzelne Länder sich und dem gesamten Eurogebiet schadeten.

«Entweder wir setzen uns gemeinsam durch, oder wir zerfallen»
Der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, würdigte die Leistungen Trichets. Die EZB habe unter seiner Führung ihren Auftrag erfüllt und die Preisstabilität gesichert. Trichet habe dies mit einer Mischung aus Pragmatismus, Wagemut und einer ständigen Bereitschaft zu helfen erreicht. Europa stehe an einem Scheideweg und müsse sich zu seiner Überzeugung bekennen. «Entweder wir setzen uns gemeinsam durch, oder wir zerfallen», sagte Barroso. (awp/mc/ps)

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