Frankfurt am Main – Elektroautos boomen in Deutschland. Allerdings sind die Stromer derzeit noch nicht wirklich klimaschonend. „Bei der Produktion von Hochvoltbatterien für Elektroautos fallen erhebliche Emissionen an“, sagt Dr. Henrik Pontzen, Leiter ESG bei Union Investment. Momentan gelte das für alle Hersteller. Für die nähere Zukunft zeichneten sich aber Unterschiede ab. Analysen von Union Investment zeigen Überraschendes: Nicht beim US-Unternehmen Tesla, sondern bei zwei deutschen Autoherstellern ist die Strategie zur Dekarbonisierung der E-Auto-Produktion am weitesten fortgeschritten. „Die Pläne des VW-Konzerns und von BMW liegen klar vor der Konkurrenz“, so Pontzen.
Im Jahr 2020 stiegen die Zulassungen von Elektroautos in Deutschland um über 200 Prozent. Der ökologische Haken daran ist, dass diese Trendwende dem Klima derzeit wenig bringt. Die Herstellung der Hochvoltbatterien ist extrem energieintensiv. Aktuell werden sie überwiegend in Asien produziert, und zwar nahezu ausschliesslich mit fossil erzeugter Energie. Die Folge: Frühestens nach mehreren Zehntausend gefahrenen Kilometern fällt die CO2-Bilanz von Elektroautos besser als die von konventionellen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor aus. „Es ist kontraproduktiv, hohe Emissionen bei der Autoproduktion in Kauf zu nehmen, um anschliessend CO2-frei fahren zu können,“ sagt Pontzen. Um die Elektromobilität zu etablieren, müssen wir das aber für wenige Jahre hinnehmen. Es gibt aktuell keine Alternative.“
„Beim Klimawandel spielt die Zeit gegen uns“, so Pontzen weiter. „Der akute Handlungsbedarf scheint bei den globalen Autoherstellern aber noch nicht angekommen zu sein.“ Das ist das Ergebnis einer systematischen Nachhaltigkeitsanalyse des Sektors durch Union Investment. „Ausserhalb Deutschlands haben wir kein Unternehmen mit einer überzeugenden Strategie gefunden, zeitnah Elektroautos vor allem mit ‚grünen Batterien‘ zu produzieren“, sagt Katja Filzek, ESG-Analystin für den Autosektor bei Union Investment. Das gelte für europäische Produzenten wie Stellantis mit Marken wie Peugeot, Fiat und Opel genauso wie für asiatische Autobauer wie Toyota oder die traditionellen US-Hersteller GM und Ford.
„Es fehlt in den Konzernzentralen das Bewusstsein wie dringend notwendig eine umfassende Strategie zur Produktion ‚grüner Batterien‘ ist“, schildert Filzek ihre Eindrücke aus Gesprächen mit den Unternehmen. Ein Grund dafür sind fehlende staatliche Vorgaben. So ist ein „EU-Batteriepass“ nach Aussagen der Europäischen Kommission erst ab dem Jahr 2024 geplant. Bei manchen Herstellern kommt laut Filzek offensichtlich hinzu, dass sie wegen Managementwechseln und Fusionen zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind.
In den USA müsse man zudem die Folgen des Regierungswechsels abwarten. „Solange Trump an der Macht war“, sagt Filzek, „haben die traditionellen amerikanischen Autobauer Nachhaltigkeit nicht ernst genommen.“ Unter Joe Biden müssen sie sich jetzt umstellen – aber das wird dauern. Der Rückstand ist zu gross. Der kalifornische Tesla-Konzern hat bessere Voraussetzungen. Wirklich überzeugt vom grünen Kurs des Elektroautobauers ist Filzek trotzdem nicht. „Auch Tesla hat keine klare Strategie, seine Autos in den nächsten Jahren emissionsfrei zu produzieren“, fasst die Analystin Gespräche mit dem Unternehmen zusammen.
Bei den Batterien setze Tesla auf Innovationen, die im Erfolgsfall zwar zu einer Reduktion von Energie- und Wasserverbrauch führen könnten. Das reiche aber nicht. „Für Klimaneutralität müssen Hersteller ihre eigene Produktion und die der Zulieferer kompromisslos auf die Nutzung von erneuerbaren Energien ausrichten“, sagt Filzek. Und das mache Tesla nicht – auch nicht bei dem geplanten Werk in der Nähe von Berlin.
Analyse zeigt Führungsrolle von BMW und VW
Konkrete Aussagen, die auf eine konsistente und ambitionierte Dekarbonisierungsstrategie bei Elektroautos schliessen lassen, findet man nach den Analysen von Union Investment aktuell nur bei BMW und beim VW-Konzern. Beide Unternehmen haben sich über eine Beteiligung am schwedischen Zulieferer Northvolt die Option gesichert, schon in wenigen Jahren einen hohen Anteil grüner Batterien verbauen zu können. Generell ist erkennbar, dass BMW und VW bei den Zulieferern ihrer Elektroautos zeitnah zunehmend striktere Massstäbe anlegen werden, wenn es um die konsequente Nutzung erneuerbarer Energien geht. „VW will sich nach dem Dieselskandal bei Elektroautos auf keinen Fall angreifbar machen und schlicht besser sein als die Konkurrenz“, so Analystin Filzek.
Mercedes-Benz als dritter grosser deutscher Autohersteller schneidet in Sachen Dekarbonisierung der Produktion von E-Autos besser ab als die internationale Konkurrenz. Gegenüber den beiden grossen nationalen Wettbewerbern haben die Stuttgarter aber einen gewissen Rückstand, vor allem bei ihren Zulieferketten. „Das Marketing von Mercedes-Benz ist etwas forscher als die Fakten es hergeben“, sagt Filzek. Immerhin wurden Anfang März erstmals Emissionsreduktionsziele für Zulieferer öffentlich kommuniziert. Allerdings wollen sich die Stuttgarter bis zur vollkommenen Klimaneutralität von Vorprodukten bis zum Jahr 2039 Zeit lassen. Resümee von Filzek: „Die Strategie von Mercedes-Benz zur Emissionsreduktion innerhalb der Zulieferkette ist nicht so ambitioniert und klar wie die von BMW oder VW.“
Schlüsselrolle für die Batterieproduktion
Eine Schlüsselrolle werden für die Hersteller künftig die zahlreichen Batteriefabriken spielen, die – nicht zuletzt aufgrund hoher Subventionen – inzwischen in Deutschland geplant sind „Grundsätzlich ist eine inländische Batterieproduktion positiv, weil sie die Abhängigkeit von China und anderen asiatischen Ländern reduziert“, meint Filzek. „Ausserdem kann man so Nachhaltigkeitsstandards leichter durchsetzen und kontrollieren.“ Das Problem ist, dass auch in Deutschland die Batterien kurz- bis mittelfristig nicht automatisch „grün“ produziert werden. Dafür ist Strom aus regenerativen Quellen hierzulande noch zu knapp und zu teuer. Viele Hersteller werden sich energieintensive Vorprodukte der Batterien wie etwa das Kathodenmaterial aus dem Ausland zuliefern lassen, prognostiziert die Analystin. Und dann stellt sich wieder die Frage, ob mit „braunem“ oder „grünem“ Strom produziert wurde.
Das Beispiel der komplexen Batterieproduktion zeigt: Es wird auch künftig herausfordernd für Nachhaltigkeitsinvestoren sein, Unternehmen mit konsequenter Emissionsvermeidung zu identifizieren. Der vor dem Hintergrund des Klimawandels notwendige Umbau von Produktionsprozessen erstreckt sich bei Automobilherstellern und bei Unternehmen in anderen Branchen über viele Jahre. Teilweise dauert er mehr als ein Jahrzehnt. Um diesen Veränderungsprozess zu mehr Nachhaltigkeit systematisch analysieren und in Anlagenentscheidungen berücksichtigen zu können, baut Union Investment aktuell ein so genanntes Transformationsrating auf. Für den Autosektor ist ein Ergebnis schon jetzt klar: „Wer uns nicht überzeugt, Elektroautos in ein paar Jahren wirklich klimaschonend bauen zu können, wird in unseren Nachhaltigkeitsfonds mittelfristig keine Rolle mehr spielen“, sagt ESG-Leiter Pontzen. (Union Investment/mc)