Washington – Die US-Notenbank Federal Reserve setzt ihre extrem lockere Geldpolitik angesichts fortdauernder Corona-Gefahren fort. Zugleich hat jedoch die Suche nach einem Weg aus der Krisenpolitik begonnen. Nicht nur werden die Aussichten für die heimische Volkswirtschaft günstiger bewertet. Auch werden perspektivisch Zinsanhebungen signalisiert. Notenbankchef Jerome Powell sagte zudem, eine Debatte über die Rückführung der milliardenschweren Geldspritzen habe begonnen.
An den Finanzmärkten reagierte der US-Dollar mit starken Kursgewinnen. US-Staatsanleihen gerieten hingegen erheblich unter Druck, die Kapitalmarktzinsen legten im Gegenzug deutlich zu. Der Aktienmarkt rutschte weiter ins Minus. Dies sind klare Hinweise, dass sich die Finanzmärkte wegen einer absehbar strafferen Geldpolitik sorgen.
Doch zunächst bleibt der Leitzins an der Nulllinie. Konkret liegt er weiter in einer Spanne von 0 bis 0,25 Prozent, wie die Notenbank am Mittwoch in Washington nach ihrer zweitägigen Zinssitzung mitteilte. Ökonomen hatten mit der Entscheidung gerechnet. Ziel der lockeren Linie ist es, die US-Wirtschaft in der Corona-Pandemie zu stützen.
Zwei Zinsanhebungen 2023?
Allerdings gibt sich die US-Notenbank zuversichtlicher für die wirtschaftliche Entwicklung und signalisiert eine etwas frühere Straffung ihrer Geldpolitik. Wie aus neuen Zinsprognosen der Notenbanker hervorgeht, könnten die Leitzinsen im Jahr 2023 zweimal um insgesamt einen halben Prozentpunkt steigen. Bisher sah die Prognose eine unveränderte Geldpolitik mit Leitzinsen nahe der Nulllinie vor.
Nicht nur die Zinsprognose wurden angehoben, auch die Erwartungen für das Wirtschaftswachstum und die Inflation fallen teilweise höher aus. So rechnet die Fed für dieses Jahr mit einem gesamtwirtschaftlichen Wachstum um 7,0 Prozent anstatt der bisher erwarteten 6,5 Prozent. Die Projektion für 2023 fällt ebenfalls etwas günstiger aus. Die Inflationserwartung wurde für die Jahre 2021 bis 2023 angehoben.
Wertpapierkäufe bleiben unverändert
Die fortschreitende Impfkampagne habe die Ausbreitung der Corona-Pandemie gebremst, hiess es seitens der Fed. Die wirtschaftliche Lage habe sich gebessert und die Beschäftigung erhöht. Ihre Wertpapierkäufe belässt die Notenbank jedoch zunächst bei 120 Milliarden US-Dollar je Monat. Damit sollen die Kapitalmarktzinsen niedrig und die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen sowie Verbraucher günstig gehalten werden.
Notenbankchef Jerome Powell sagte, die US-Wirtschaft sei in diesem Jahr auf dem Weg zum stärksten Wirtschaftswachstum seit Jahrzehnten. Allerdings spiegele sich darin zu einem Grossteil eine Gegenreaktion zu dem scharfen wirtschaftlichen Einbruch in der ersten Corona-Welle vor etwa einem Jahr. Die Bedingungen am Arbeitsmarkt hätten sich weiter verbessert, allerdings sei der Fortschritt ungleichmässig.
Inflation auf 13-Jahreshoch
Die Inflation, die im Mai auf ein 13-Jahreshoch von 5 Prozent gestiegen war, dürfte laut Powell zunächst erhöht bleiben. Gründe seien der Preiseinbruch vor einem Jahr, höhere Konsumausgaben aufgrund der Lockerung von Corona-Beschränkungen und Engpässe auf der Angebotsseite. Sobald diese Effekte jedoch ausliefen, dürfte die Inflationsrate wieder auf den Zielwert der Zentralbank von zwei Prozent zurückgehen, erwartet Powell. Damit sei im kommenden Jahr zu rechnen.
Den Zinsprognosen der Notenbank sprach Powell abermals ab, eine Art Vorentscheidung oder Plan für die künftige Geldpolitik darzustellen. Niemand wisse, wie sich die Wirtschaft in den nächsten Jahren entwickeln werde. Wichtiger als die Zinsvorhersagen sei, dass die Geldpolitik der Fed selbst im Falle von Zinsanhebungen extrem locker bleibe.
Diese seien ohnehin nicht das Thema der Stunde, erklärte Powell. Zunächst werde sich die Fed mit der Rückführung ihrer Wertpapierkäufe auseinandersetzen. Eine Debatte darüber habe im geldpolitischen Komitee bereits begonnen. Konkret wurde der Fed-Chef allerdings nicht. In jedem Fall werde der Prozess geordnet und für jeden klar einsehbar ablaufen.
Fachleute rechnen derzeit damit, dass die Notenbank um die Jahreswende herum damit beginnen könnte, ihre Anleihekäufe zurückzuschrauben. Dies ist ein riskantes Unterfangen: Im Jahr 2013 hatte ein ähnliches Vorhaben starke Turbulenzen an den Finanzmärkten hervorgerufen. Viele Schwellenländer wurden durch erhebliche Kapitalabflüsse und steigende Kapitalmarktzinsen geplagt.
«Tonfall markant verändert»
Ökonomen werteten die Ausführungen der Federal Reserve als Vorbereitung auf eine weniger grosszügige Geldpolitik. Die Fed halte zwar an ihrer lockeren Line fest, doch der Tonfall habe sich markant verändert, kommentierte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. «Die Märkte werden auf eine straffere Geldpolitik vorbereitet.»
Andere Volkswirte sahen es ähnlich, verwiesen aber auch darauf, dass die Fed kein Eile an den Tag legen dürfte. Auch Notenbankchef Powell sagte, man sei noch nicht an dem Punkt, an dem man von «substanziellen Fortschritten» sprechen könne. Von diesen macht die Fed eine Rückführung ihrer lockeren Geldpolitik anhängig.
Ganz so wohl in der eigenen Haut dürften sich die Währungshüter angesichts der hohen Inflation aber nicht mehr fühlen, sagte Experte Gitzel. Die gut laufende Wirtschaft benötige die Fed-Geldspritzen nicht mehr. In den kommenden Monaten werde die Notenbank einen Fahrplan ausarbeiten, wie der Ausstieg aus den milliardenschweren Wertpapierkäufen zeitlich vollzogen werde. «Eines ist klar: Die Zeiten der üppigen Geldspritzen sind vorbei.» (awp/mc/ps)