Washington – Angesichts weltweiter Rezessionssorgen hat die US-Notenbank mit einer überraschenden Zinssenkung ein Ausrufezeichen im Kampf gegen die Folgen der Coronavirus-Krise gesetzt. Die Währungshüter um US-Notenbankchef Jerome Powell kappten den Schlüsselsatz am Dienstag um einen halben Punkt.
Neu gilt eine Spanne von 1,0 bis 1,25 Prozent. Einen derart grossen Schritt hatte es zuletzt in der globalen Finanzkrise vor zehn Jahren gegeben. Er wurde nun mit den Risiken für die US-Wirtschaft begründet, die sich mit der Ausbreitung des Virus verbinden.
Powell sagte auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss, die Fed gehe davon aus, dass die Lockerung der Wirtschaft einen «bedeutenden Schub» geben werde. Politische Erwägungen hätten bei der Entscheidung keine Rolle gespielt, sagte Powell auch mit Blick auf die jüngsten Zwischenrufe von US-Präsident Donald Trump.
Der Staatschef stellt sich im November zur Wiederwahl und hatte jüngst erneut eine kräftige Zinssenkung gefordert. Trump erklärte nun, seine Regierung verhandele mit dem Kongress über Notfall-Massnahmen gegen die Epidemie. Er erwarte, dass die Abgeordneten das Paket im Volumen von 8,5 Milliarden Dollar genehmigen würden.
Die Notenbank werde die Entwicklung weiter genau beobachten und ihre Werkzeuge bei Bedarf einsetzen, um die Konjunktur zu stützen, erklärte die Fed. Laut Powell hat sie jedoch noch keine weiteren Massnahmen im Auge.
Viruskrise erfordert Antwort
Die einstimmig getroffene Entscheidung der Währungshüter hatte die Finanzmärkte überrascht, die sich erst für die Zinssitzung am 17. und 18. März auf eine Senkung eingestellt hatten. Powell sagte, die Fed sei in aktiven Gesprächen mit anderen Notenbanken. Die Viruskrise erfordere eine facettenreiche Antwort.
Auf einer Telefonkonferenz hatten sich die Finanzminister und Zentralbankchefs der sieben führenden Industriestaaten (G7)am Mittag über ihr Vorgehen gegen die Krise abgestimmt. US-Finanzminister Steven Mnuchin betonte danach, die G7 hätten vereinbart, «alles in ihrer Macht Stehende» zur Schadensbegrenzung zu tun. Eine Senkung der Strafzölle gegen China schloss er aber aus.
Sein japanischer Kollege Taro Aso sagte, denkbar seien geldpolitische Reaktionen oder höhere Ausgaben der Staaten. Letztlich werde die Antwort aus dem Kreis der sieben Staaten – Deutschland, Frankreich, Italien, Grossbritannien, Japan, die USA und Kanada – von Land zu Land jeweils unterschiedlich ausfallen.
Fed beunruhigt
Laut Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer zeigt die Zinssenkung in den USA, dass die Zentralbanken die Corona-Krise «sehr, sehr ernst» nehmen. Die US-Notenbank reagiere als erste, obwohl die US-Wirtschaft am wenigsten betroffen sei: «Dies macht deutlich, wie beunruhigt die Zentralbanken weltweit sind.»
LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert verweist darauf, dass es bei der Fed einen ausserplanmässigen Beschluss und eine Veränderung um einen halben Prozentpunkt zuletzt in der Finanzkrise vor gut zehn Jahren gab: «Die US-Währungshüter hoffen darauf, die Märkte mit diesem entschiedenen Schritt nachhaltiger zu beruhigen, so dass keine weitere Zinsschritte notwendig werden, denn die US-Wirtschaft befindet sich laut Einschätzung der Fed weiterhin in guter Verfassung.»
Und die EZB?
Die Europäische Zentralbank (EZB) arbeitet bereits konkret an gezielten Geldspritzen für Firmen, die von den Folgen der Epidemie betroffen sind, wie drei mit den Überlegungen vertraute Personen Reuters sagten. Den Insidern zufolge wird geprüft, ob langfristige gezielte Kreditspritzen (TLTRO) besonders kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen sollten.
Der Grund sei, dass kleine Firmen generell nicht so leicht an Kredite gelangten im Vergleich zu grossen Konzernen. Daher bekämen diese auch die Folgen der Viruskrise deutlicher zu spüren. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte am Montagabend erklärt, die Notenbank stehe bereit, mit angemessenen, gezielten geldpolitischen Schritten auf die Virus-Krise zu antworten. Die nächste Zinssitzung der EZB ist am 12. März in Frankfurt.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) wollte den Zinsschritt der Fed auf Anfrage von AWP nicht kommentieren. Die hiesigen Währungswächter werden gemäss aktueller Planung am 19. März ihre geldpolitische Lagebeurteilung abhalten.
«Impfstoff würde mehr helfen»
Aus Sicht von Carsten Brzeski, Chefökonom der Grossbank ING in Deutschland, sind die Mittel der Geldpolitik bei dieser Krise begrenzt. Es gebe wenig, was die EZB machen könne, ausser die Finanzmärkte zu beruhigen. «Um es offen zu sagen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde ein Impfstoff definitiv mehr helfen als eine weitere Zinssenkung», sagte der Experte.
Anders als die US-Notenbank Fed hat die EZB bei den Zinsen allerdings nicht mehr viel Spielraum. Ihr Leitzins liegt bereits auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Eine Senkung auf unter Null wird von den meisten Experten ausgeschlossen. Darüber hinaus müssen Banken bereits seit 2014 Strafzinsen zahlen, wenn sie bei der EZB über Nacht Geld parken.
Der Zinsschritt der US-Notenbanker sorgte nur vorübergehend für Bewegung an den Finanzmärkten. Das Schweizer Börsenbarometer SMI schloss am Dienstag 1,4 Prozent höher, blieb allerdings deutlich hinter dem Tageshoch zurück. Experten bezeichneten den Effekt des Zinsschrittes auf die Weltwirtschaft als begrenzt. (awp/mc/ps)