VP Bank: Absturz der globalen Wirtschaft bleibt aus
Der konjunkturelle Blick auf das Jahr 2023 gibt Anlass zur Hoffnung. Dies mag in Anbetracht der erwarteten Rezession merkwürdig klingen. Doch bis vor kurzem war zu befürchten, dass der Weltwirtschaft aufgrund eines Energiemangels in Europa ein Absturz bevorsteht.
von Dr. Thomas Gitzel, CIO VP Bank
Die Rationierung von Energie ist mittlerweile nur noch mit einer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit versehen. Damit könnte die wirtschaftliche Kontraktion milder und sanfter ausfallen als ursprünglich erwartet. Mehr noch: Positive Wachstumskräfte könnten im zweiten Halbjahr wieder die Oberhand gewinnen – insbesondere dann, wenn das Thema Inflation an Brisanz verliert. Dennoch: In Europa und in den USA rechnen wir unter dem Strich mit einem Wachstum von unter null.
Im Folgenden lesen Sie, wie sich die konjunkturelle Lage für Europa, USA und China im Detail präsentiert.
Europa: Doch kein Untergang
In Europa herrschte bis kurzem noch Weltuntergangsstimmung. Dies färbte auf den weltwirtschaftlichen Ausblick ab. Wichtige europäische Konjunkturfrühindikatoren legten eine schwere Rezession nahe. Die schlechte Nachrichtenlage veranlasste auch den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu einem düsteren Ausblick für das kommende Jahr. Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgeerscheinungen, darunter ein befürchteter Gasmangel, sei eine schwerwiegende wirtschaftliche Belastung für die Weltwirtschaft, hiess es beim IWF.
Allerdings erweist sich Europa resilienter als zunächst angenommen. Die Eurozone wuchs im Jahr 2022 sogar stärker als die US-Wirtschaft und selbst über die Wintermonate hinweg ist von einem abrupten Absturz der europäischen Konjunktur bislang nichts zu spüren. Die Stimmung scheint schlechter als die eigentliche Lage zu sein. Besonders deutlich zeigt sich dies in Deutschland. Die Einschätzung der aktuellen Lage in der Industrie und des erwarteten Geschäftsverlaufs ist noch nie so weit auseinandergeklafft wie derzeit.
Nun hellen sich sogar – von sehr tiefem Niveau kommend – die Aussichten für die kommenden Monate auf. Die europäischen Unternehmen blicken also mittlerweile etwas zuversichtlicher in die Zukunft. Dazu beigetragen haben die staatlichen Energiepreisdeckel und die sinkende Wahrscheinlichkeit des Schreckensszenarios eines Gasmangels, weil die Gaslager gut gefüllt sind. Die Vorratssituation und die gleichzeitig schwache chinesische Nachfrage hat schliesslich zu fallenden Gaspreisen an den Terminmärkten geführt. Wenngleich die Preise noch immer weit über dem Vorkrisenniveau liegen – ihr Rückgang ist zumindest ein Zeichen der Entspannung. Der befürchtete deutliche Einbruch der Wirtschaft dürfte demnach ausbleiben und stattdessen lediglich eine konjunkturelle Delle zu verzeichnen sein.
Dass es beim Rezessionsszenario bleibt, hat dann aber doch mit den gestiegenen Energiepreisen bei gleichzeitig hohen Teuerungsraten zu tun. Energieintensive Branchen verringern seit längerem ihre Produktion. Die Verbraucher leiden ihrerseits unter deutlich gestiegenen Lebenshaltungskosten und beschränken ihre Konsumausgaben. Ein gänzliches Ausbleiben der Rezession in der Eurozone ist somit nur schwer vorstellbar.
Zudem wird die Europäische Zentralbank (EZB) mit weiteren Zinsanhebungen bis in den Bereich der 3 % für den Einlagensatz (derzeit: 2 %) die Konjunktur deutlich dämpfen. Die Leitzinsschritte im Jahr 2022 belasten die Bauwirtschaft bereits. Doch in Anbetracht fallender, aber über den Jahresdurchschnitt 2023 noch immer hoher Teuerungsraten von durchschnittlich rund 6 %, bleibt den europäischen Währungshütern nichts anderes übrig, als weiter an der Zinsschraube zu drehen. Werden sich die Prognosen ausbleibender Energierationierungen bewahrheiten, könnte die Konjunktur ab den Sommermonaten 2023 bereits wieder zur Erholung ansetzen. Per Saldo rechnen wir mit einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 0.5 % für den gemeinsamen Währungsraum.
Wenn die Eurozone in einer Rezession steckt, spürt das auch die Schweizer Wirtschaft. Zwar hat die Schweiz nicht mit hohen Inflationsraten zu kämpfen, doch die exportstarke Industrie wird unter der nachlassenden internationalen Nachfrage leiden. Wir rechnen deshalb damit, dass auch die eidgenössische Wirtschaft in eine – wenngleich auch milde –Kontraktionsphase fallen wird.
Eurozone: Inflationsraten werden fallen
USA: Wirtschaft auf Rezessionskurs
Die US-Notenbank Fed hat 2022 ein geldpolitisches Straffungstempo eingeschlagen, das in den vergangenen 30 Jahren ohne Beispiel ist. Dies hinterlässt wirtschaftliche Bremsspuren, die sich in den kommenden Monaten noch verstärken werden.
Die Bauwirtschaft leidet unter deutlich gestiegenen Hypothekenzinsen. Der viel beachtete 30jährige Finanzierungssatz lag in der Spitze bei über 7 % im landesweiten Durchschnitt. Der für die USA so wichtige private Konsum schlug sich zuletzt zwar angesichts hoher Inflationsraten noch recht solide, doch die gestiegenen Lebenshaltungskosten und Bauzinsen werden im kommenden Jahr den persönlichen Verbrauch merklich belasten.
Ins gleiche Horn stösst auch die Umfrage unter sogenannten Senior-Loan-Officer zu den Kreditvergabekonditionen. Demnach sind die US-Banken mit Ausleihungen bereits merklich restriktiver geworden. In der Vergangenheit war dies stets mit einer Produktionslücke verbunden, also einem wirtschaftlichen Wachstum unterhalb des Potenzialwachstums. Eine Rezession ist deshalb vorgezeichnet. Für das Gesamtjahr rechnen wir mit einem BIP-Rückgang um 0.2 %.
USA: Restriktive Kreditvergabe führt zu schwachem Wachstum
Die Kontraktion dürfte gegen Ende des ersten Quartals beziehungsweise zu Beginn des zweiten Quartals anfangen. Gegen Jahresende dürfte es dann zu einer wirtschaftlichen Erholung kommen. Die rückläufigen Inflationsraten werden in Kombination mit Lohnerhöhungen zu positiven Reallohnzuwächsen führen, was dem privaten Konsum positive Impulse verleihen dürfte. Die Fed kann derweil aufgrund des nachlassenden Preisdrucks bereits ab dem zweiten Quartal 2023 von weiteren Zinserhöhungen absehen.
China: Wachstumsschwäche
Wenn die Konsumenten in den USA und in Europa die Gürtel enger schnallen, wird dies die chinesische Volkswirtschaft zu spüren bekommen. Gerade Güter, die zu einem hohen Grad aus China stammen, könnten zum Sparopfer werden. Dazu zählen vor allem langlebige Wirtschaftsgüter wie Elektronikartikel oder Möbel. Dies zeigt die von der Universität von Michigan erhobene monatliche US-Konsumentenumfrage eindrücklich. Die Anschaffungsneigung für langlebige Konsumgüter war noch nie so gering wie seit Auflegung der Zeitreihe Anfang der 1960er Jahre.
China wird dies zu spüren bekommen. Schon jetzt gibt es Vorboten: Zum Jahresende 2022 brachen die chinesischen Exporte um knapp 9 % gegenüber dem Vorjahr deutlich ein. Gleichzeitig lastet die Null-Covid-Strategie der chinesischen Staatsregierung auf der wirtschaftlichen Entwicklung. Zwar sind Lockerungen auszumachen, diese dürften sich im Laufe des Jahres auch fortsetzen.
Doch Unternehmen und private Haushalte sind zutiefst verunsichert. Von einer raschen Erholung des angeschlagenen und unter dem Infektionsgeschehen leidenden chinesischen Immobiliensektors ist deshalb nicht auszugehen. Die Wirtschaft des Reichs der Mitte wird deshalb im historischen Vergleich sehr schwach expandieren. China dürfte lediglich ein schwaches Wachstum von rund 3 % im Jahr 2023 ausweisen. (VP Bank/mc)