Bernd Hartmann, Leiter Investment Research der VP Bank.
Vaduz – EZB-Präsident Mario Draghi wurde bei der heutigen Notenbanksitzung den hohen Markterwartungen – und auch unseren – nicht gerecht. Die vielerorts erwartete konzertierte Aktion von Staatsanleihekäufen durch die EZB und den EFSF bzw. ESM wird es vorerst nicht geben. Die EZB zieht nach Angaben von Mario Draghi den Kauf von kurzlaufenden Staatsanleihen in Betracht. Über das Volumen und das exakte Laufzeitensegment macht der EZB-Vorsitzende keine Angaben.
Aus der Pressemitteilung der EZB geht hervor, dass die europäischen Rettungsschirme EFSF/ESM zum Staatsanleihekauf gerüstet werden. Dies stand allerdings schon nach dem EU-Gipfel im Juni fest. Die explizite Erwähnung von Staatsanleihekäufen durch den EFSF/ESM im EZB-Statement lässt jedoch darauf schliessen, dass die EU an diesem Punkt in den kommenden Wochen mit hoher Priorität arbeiten dürfte. Möglicherweise werden die Bedingungen für einen Markteingriff des EFSF bzw. ESM weiter gelockert. Fakt ist aber, dass hierbei die EZB den Ball ins Spielfeld der Politik zurückgegeben hat. Der zurückhaltende Umgang mit direkten Markteingriffen auf deutscher Seite zeigt also bei der aktuellen EZB-Sitzung deutliche Wirkung.
Marktreaktion
Der Wechselkurs EUR/USD schoss zu Beginn der Pressekonferenz zunächst auf 1.24, im Laufe der Veranstaltung ging es im Eiltempo wieder den 1.22 entgegen. Ganz ähnlich verlief die Entwicklung an den Aktienmärkten. Der DAX notiert mittlerweile sogar deutlich unter seinem heutigen Eröffnungskurs.
Ausblick und Einschätzung
Die EZB enttäuschte. Die Notenbank wird in den kommenden Wochen versuchen, die hohen Renditeniveaus italienischer und spanischer Staatsanleihen im kurzlaufenden Segment zu drücken. Dies wird aber nicht ausreichen. Problemzone bleiben die langfristigen Refinanzierungsbedingungen. Es ist nicht auszuschliessen, dass in den kommenden Wochen die Renditen langlaufender Anleihen aus der Peripherie wieder deutlich ansteigen werden und eine neue Verschärfung der Situation entsteht.
Die Märkte dürften die Politik erneut herausfordern und dem EUR wenig Vertrauen schenken. Der Wechselkurs EUR/USD dürfte vorerst auf Niveaus in der Nähe von 1.20 verharren. Kommt es zu einem deutlicheren Renditeanstieg, dürfte die Marke von 1.20 getestet werden. Auch wenn zwischenzeitlich tiefere Niveaus im EUR/USD möglich sind, halten wir aber an unserem Zielband von 1.20 – 1.30 auf drei bis sechs Monate fest. Aufgrund des sich abschwächenden Konjunkturbilds und der notwendigen Budgetkürzungen in den USA droht das Aufwertungspotenzial des USD allmählich ausgeschöpft zu sein.
Aufgrund der Gefahren eines stärkeren CHF für die Schweizer Wirtschaft wird die SNB aber weiterhin am Mindestkurs zum EUR festhalten. Eine spürbare Abwertung des CHF gegenüber dem EUR halten wir vorerst weiter für unwahrscheinlich. Auch wenn die SNB über uneingeschränkte Mittel zur Verteidigung verfügt, bleibt ein Restrisiko, dass die Kursuntergrenze unerwartet aufgegeben wird resp. werden muss, wenn der Druck auf den EUR – aufgrund einer Eskalation in der Eurozone – und die damit verbundenen Bilanzrisiken für die SNB weiter zunehmen. (VP Bank/mc/ps)