Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei.
Kairo – Ägypten sucht nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi einen politischen Neuanfang – ein Chef für die Übergangsregierung wurde jedoch noch nicht gefunden. Ein Sprecher von Übergangspräsident Adli Mansur dementierte am späten Samstagabend Meldungen über die angebliche Ernennung von Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei zum Ministerpräsidenten.
Widerstände gegen den Ex-Diplomaten und Führer der säkularen Nationalen Rettungsfront kamen aus den Reihen der islamistischen Nur-Partei (Partei des Lichts). Diese war früher mit der Muslimbruderschaft verbündet, aus der Mursi stammt. Zuletzt schloss sie sich aber der Oppositionsallianz gegen den am Mittwoch vom Militär abgesetzten Präsidenten an.
Medien in Kairo hatten am Samstagabend die Ernennung ElBaradeis zum Regierungschef bereits als Faktum vermeldet. Dabei hatten sie sich zunächst auf die Opposition, dann auch auf Kreise um Mansur berufen. Das Dementi kam kurz vor Mitternacht.
Der Sprecher betonte, es liefen Verhandlungen über die Besetzung des Postens. ElBaradei führe weiter Gespräche mit Mansur. Es gebe aber auch andere Kandidaten. Vertreter der Nur-Partei erklärten allerdings am Sonntag gegenüber lokalen Medien, dass sie ElBaradei ablehnten, weil er die ägyptische Gesellschaft «zu sehr polarisieren» würde.
Erneute Demonstrationen
Im krisengeschüttelten Land am Nil gingen unterdessen die Demonstrationen weiter. Nach Augenzeugenberichten versammelten sich am Sonntag erneut Anhänger und Gegner Mursis in Kairo. Bei Ausschreitungen nach Massenprotesten gegen Mursis Absetzung waren am Freitag und in der Nacht zum Samstag nach Angaben des staatlichen Ambulanzdienstes mindestens 36 Menschen ums Leben gekommen, davon 16 durch Schüsse. Mehr als 1100 weitere hatten Verletzungen erlitten.
ElBaradei warnte nach dem Umsturz vor einer Hexenjagd in Ägypten. «Niemand darf ohne triftigen Grund vor Gericht gestellt werden», forderte er in einem «Spiegel»-Interview. Mursi müsse mit Würde behandelt werden. «Das sind die Voraussetzungen für eine nationale Versöhnung.» Nach Einschätzung ElBaradeis müssen auch die radikalislamischen Muslimbrüder Teil dieses Versöhnungsprozesses sein. «Die Muslimbrüder sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft.»
Machtkampf auf der Strasse eskaliert
Der offene Machtkampf zwischen den neuen Machthabern und den islamistischen Unterstützern Mursis war am Vortag eskaliert. Der von den Religiösen ausgerufene «Freitag der Ablehnung» gipfelte in landesweiten Massendemonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern. In der Nähe des zentralen Tahrir-Platzes in Kairo prallten in den Abendstunden Mursis Anhänger und Gegner aufeinander, um sich heftige Strassenschlachten zu liefern. Zu Zusammenstössen kam es auch in Alexandria, Suez und in Al-Arisch auf dem Sinai.
Im Norden des Sinai entglitt den Behörden die Kontrolle: Hunderte Islamisten stürmten in der Nacht zum Samstag den Sitz des Gouverneurs in Al-Arisch. Extremisten sprengten am Sonntag eine Pipeline, die über den Sinai Gas nach Jordanien transportiert. Es war der erste Anschlag auf das Leitungsnetz, das Jordanien und Israel mit Gas versorgt, seit einem Jahr. Am Samstag erschossen Extremisten in Al-Arisch einen koptisch-orthodoxen Priester. (awp/mc/ps)