Arabischer Frühling erhält neues Momentum

Arabischer Frühling erhält neues Momentum

Die Mena-Region, wie sie der Karikaturist M. Hassan von der Zeitung «Egyptian Mail» sieht.

Inspiriert von den durch Demonstrationen ausgelösten Regimewechseln in Tunesien und Ägypten im Januar bzw. Februar, formieren sich in immer mehr Staaten in Mittelost und Nordafrika (Mena) Oppositionelle und Protestler. Zwei Drittel der 300 Millionen Araber sind unter 30 Jahre alt, hohe Jugendarbeitslosigkeit, Misswirtschaft und politische Repression nähren die arabische Intifada. Während in Algerien, Saudiarabien, Kuwait und Oman die Lage überschaubar bleibt, droht die Situation in den folgenden Ländern aus dem Ruder zu laufen:

Libyen
Zehn Tage nach Beginn des Luftkriegs zur Durchsetzung der UN-Resolution 1973 vom 18. März für eine Flugverbotszone über den vom Bürgerkrieg zerrütteten Land, lichten sich «die Nebel des Krieges» (ein von Clausewitz geprägter Begriff). Medienvertreter vor Ort berichten übereinstimmend über mehrere Schlappen der regimetreuen Gaddafi-Truppen im Kampf gegen Aufständische. Oberst Gaddafi, der Libyen seit 42 Jahren als Revolutionsführer regiert, zieht sich offenbar immer mehr auf die Hauptstadt Tripolis an der Nordwestküste zurück. Das kompromisslose und blindwütige Vorgehen Gaddafis gegen das eigene Volk hat in der arabischen Welt Empörung und Abscheu hervor gerufen. An der von der NATO angeführten «Koalition der Willigen» beteiligen sich auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar.

Syrien
Die Arabische Republik am östlichen Mittelmeer (20,1 Mio. Einwohner) ist der jüngste Kandidat der arabischen Intifada, die im Januar in Tunesien und Ägypten zu einem Regimewechsel führte. Syriens Staatschef Baschar Al-Assad beerbte seinen Vater Hafis Al-Assad nach dessen Tode im Jahr 2000 (Assad sr. regierte seit 1971). Die in der Region vergleichsweise gut ausgebildeten Syrer fordern seit Mitte März in gewaltätigen Demonstrationen demokratische Reformen und politischen Pluralismus. Bei Zusammenstössen mit Polizei und Geheimdiensten gab es Dutzende Tote und Verletzte. Ähnlich wie in Ägypten formieren sich in Syrien (20,1 Mio. Einwohner) Oppositionelle im e-Netzwerk Facebook unter Youth Syria for Freedom.

Jetzt will der in London ausgebildete Augenarzt Assad jr. den seit 30 Jahren geltenden Notstand aufheben. Dabei kann Präsident Assad auch Erfolge vorweisen: er eröffnete 2008 in dem einst sozialistischen Land eine Börse in Damaskus, liess private Banken zu und näherte sich dem Westen an, um im Nuklearkonflinkt zwischen Westmächten und dem Iran eine Vermittlerrolle einzunehmen. US-Präsident Obama entsandte Anfang 2011 nach sechs Jahren diplomatischer Funkstille einen amerikanischen Botschafter nach Damaskus.

Mit seinem Arsenal aus chemischen und biologischen Kampfstoffen will Syrien mit dem atomar bewaffneten Erzfeind Israel auf Augenhöhe bleiben, der seit 1967 einen Teil des Gebirgsmassivs Golan besetzt hält. Die hohen Militärausgaben belasten die syrische Wirtschaft und mindern staatliche Investitionen in die Privatwirtschaft.

Jemen
«Arabia Felix», das glückliche Arabien, wie die Römer einst den Jemen nannten, droht seit Mitte Februar im Chaos zu versinken. Präsident Ali Abdullah Saleh, seit über drei Jahrzehnten im Amt, hat nach wochenlangen Protesten gegen seine Person jetzt seinen Rücktritt bis Ende Jahr angeboten, falls die Machtübergabe «in geordneten Bahnen“ verläuft. Unterdessen schlagen sich immer mehr Offiziere und Armeeeinheiten auf die Seite de Protestler, deren Elan jedoch nicht alle Stammesführer erreicht hat. Letztere spielen wie so oft in der arabischen Welt das Zünglein an der Waage. Als Vermittler schlug Saleh die Golfstaatenunion GCC oder die EU vor. Der von karstigen Gebirgen überzogene Jemen (22,4 Mio. Einwohner) verfügt nur über geringe Ölvorkommen und gilt mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 972 US-Dollar als das ärmste Land auf der arabischen Halbinsel.

Bahrain
Unter dem Eindruck gewaltgeladener Proteste gegen eine «Politik des Stillstands und der Vetternwirtschaft», wie es die Demonstranten nennen, verhängte Bahrains König Hamad Bin Chalifa vor Kurzem einen für drei Monate währenden Ausnahmezustand. Auch in Bahrain, dessen Einwohner zu zwei Dritteln der schiitischen Fraktion im Islam angehören, gab es Tote und Verletzte. Der eng mit der internationalen Finanzwelt verflochtene Bankenplatz Bahrain wurde von der Finanzkrise am härtesten getroffen, warf den kleinsten Golfstaat (1,3 Mio. Einwohner) um Jahre zurück.

95% der kotierten Werte an der Bahrain Bourse werden nicht auf Tagesbasis gehandelt. Mehrere internationale Banken haben unterdessen ihre Mitarbeiter aus Bahrains Kapitale Manama ins sichere Dubai verlegt. Umgekehrt entsandten die Nachbarländer Saudiarabien, VAE und Kuwait Truppen nach Bahrain, um den sunitischen Monarchen Hamad zu unterstützen und um, wie es heisst, «Ruhe und Ordnung wieder herzustellen.»

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