Historische Einigung im Atomstreit mit Iran
Gespräche mit Delegationen der fünf UN-Vetomächte und Deutschlands mit dem Iran am 9. Juli 2015 in Wien.
Wien / Tel Aviv / Teheran – Der Atomstreit mit dem Iran ist nach 13-jährigem diplomatischen Ringen beigelegt. Die UN-Vetomächte, Deutschland und der Iran erzielten in zuletzt mehr als zweiwöchigen Marathonverhandlungen in Wien eine historische Einigung zur deutlichen Verringerung der Atomkapazitäten der Islamischen Republik. Das bestätigten die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini und Irans Aussenminister Mohammed Dschawad Sarif am Dienstag. Das Abkommen sei offiziell besiegelt, teilte das Auswärtige Amt mit.
US-Präsident Barack Obama, der Friedensnobelpreisträger von 2009, hatte sich persönlich vehement für eine Einigung im Atomstreit eingesetzt. Mogherini sprach von einem Zeichen der Hoffnung für die ganze Welt. Sarif sagte: «Wir starten ein neues Kapitel der Hoffnung.» Der US-Kongress, in dem viele Abgeordnete eine Kooperation mit dem Iran ablehnen, muss aber noch zustimmen. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu geisselte die Einigung gar als «historischen Fehler» und warnte: «Wir haben uns verpflichtet, einen atomar bewaffneten Iran zu verhindern. Dazu stehen wir».
Ganz anders erste Reaktionen der Hardliner in Teheran: «Das Atomteam hat in einer einzigartigen Art und Weise und mit viel diplomatischem Geschick die Interessen des Landes erfolgreich verteidigt», meldete sich die konservative Partei Isargaran (Selbstlose)zu Wort.
Bau iranischer Atombombe verhindern
Das Abkommen soll den Bau einer iranischen Atombombe verhindern. Im Gegenzug werden die Wirtschaftssanktionen des Westens schrittweise aufgehoben. Die Übereinkunft ist in Zeiten vieler Konflikte einer der wenigen überragenden diplomatische Erfolge. Sie markiert auch ein Ende der Eiszeit in den Beziehungen zwischen den USA und dem Iran. Seit dem Sturz des Schahs 1979 und der Geiselhaft von 52 US-Diplomaten standen sich beide Länder in bitterer Feindschaft gegenüber. Zugleich dürfte der Iran auch seine aussenpolitische Isolation überwinden und als Regionalmacht gestärkt werden.
Nun steigen nach Überzeugung des deutschen Aussenministers Frank-Walter Steinmeier die Chancen, auch andere Krisen wie etwa in Syrien zu lösen. Während der Westen und Russland wegen des Ukraine-Konflikts politisch zerstritten sind, haben sie im Fall des Iran-Abkommens eng kooperiert. Zur Überziehung der ursprünglich schon für den 30. Juni angepeilten Einigungsfrist sagte Steinmeier: «Ich hatte gesagt, dass der 30. Juni ein langer Tag werden würde, aber dass er 348 Stunden haben würde, damit habe ich nicht gerechnet.»
Zu den Kritikern der Annäherung zählen auch die Golfstaaten, die eine Verschiebung des regionalen Machtgefüges zugunsten des Irans befürchten. Israels Regierungschef Netanjahu sieht den Iran, dessen Staatsdoktrin die Erzfeindschaft mit dem Judenstaat unantastbar festschreibt, nun auf dem Weg zur Atommacht. Ausserdem werde der Deal Teherans «Terror- und Eroberungsmaschinerie Hunderte Milliarden Dollar liefern».
«Mutter aller Lobbyschlachten»
Der israelische Iran-Experte Meir Javedanfar erwartet deshalb nun die «Mutter aller Lobbyschlachten» von Seiten der Gegner des Deals. Netanjahu werde alles versuchen, um die Vereinbarung mit Hilfe des US-Kongresses noch zum Scheitern zu bringen, sagte der Politikwissenschaftler der Deutschen Presse-Agentur.
Das Rahmenabkommen von Lausanne im April zeichnete den Weg für die jetzige umfassende Lösung vor. Laut Rahmenabkommen muss der Iran die Zahl der Zentrifugen zur Urananreicherung von 19 000 auf 6100 verringern, seine Bestände an niedrig angereichertem Uran von 10 000 auf 300 Kilogramm senken und darüber hinaus äusserst strenge und intensive Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zulassen.
Im Gegenzug werden in einem ersten Schritt die Einschränkungen für die Banken und das Öl-Embargo der EU aufgehoben. Damit kann Teheran wieder deutlich mehr Öl exportieren. Obendrein erhält das Land Zugang zu mindestens 100 Milliarden Dollar (90 Milliarden Euro), eingefroren auf ausländischen Konten. Der Iran leidet seit Jahren unter einer Wirtschaftskrise. Von dem erhofften Boom könnte auch die deutsche Wirtschaft profitieren, die einen guten Ruf im Iran geniesst. Bereits an diesem Sonntag wird Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) – begleitet von Wirtschaftsexperten – kurzfristig in den Iran reisen. (awp/mc/upd/ps)