Zürich – Die Art und Weise unserer Fortbewegung wird sich in den nächsten 25 Jahren grundlegend verändern. Das zeigt eine globale Studie von Oliver Wyman, zu der neben eigenen Recherchen der Strategieberatung auch 200 Branchenexperten befragt wurden. Geprägt sein würde die Entwicklung des Verkehrssektors vom Verzicht vieler Menschen auf das eigene Auto zugunsten der „Shared Mobility“ mit individualisierten Mobilitätslösungen. Darüber hinaus ist ein endgültiger Abschied des Schienenverkehrs aus dünn besiedelten Regionen zu erwarten. Durch die flächendeckende Anwendung intelligenter Technologien könnten neue Akteure optimale Reiseketten zusammenstellen und die traditionellen Verkehrsunternehmen dazu zwingen, ihr Geschäftsmodell zu verändern.
In den kommenden Jahren und Jahrzehnten werden sich immer mehr Menschen individuelle Mobilitätswünsche mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrad oder Mietwagen – vom klassischen Angebot bis zum Car Sharing – ohne eigenes Auto erfüllen. „Die sogenannte Shared Mobility wird in den nach wie vor weiter wachsenden Städten und Ballungsgebieten einen nennenswert grösseren Anteil erreichen – nicht nur bei uns in Europa, sondern in der ganzen Welt“, erklärt Joris D’Incà, Verkehrsspezialist und Partner der weltweit tätigen Beratungsfirma Oliver Wyman. „Davon sind zwei Drittel der von uns befragten Experten überzeugt.“ Diese Entwicklung habe erhebliche Konsequenzen für die Automobilindustrie, betont der Mit-Autor der Studie „Mobility 2040“: Es sei zu erwarten, dass in 25 Jahren private Ausgaben für eigene Autos um 25 bis 30 Prozent zurückgegangen sein würden.
„Shared Mobility“ auf dem Vormarsch
Vor allem in den hoch entwickelten Industrieländern werde dieser Trend spürbar werden, ermittelte die Untersuchung. So würden in Deutschland die Ausgaben für die individuelle Automobilität von derzeit rund 75 Prozent aller Ausgaben für den Personentransport auf 56 Prozent zurückgehen. Ähnliche Entwicklungen seien auch in den anders strukturierten Ländern USA und China zu verzeichnen. Bei der Shared Mobility erwartet die Studie „dramatische Zuwächse“, vor allem mit der weiteren technischen Entwicklung des autonomen Fahrens. Annähernd zwei Drittel der befragten Verkehrsexperten waren einstimmig überzeugt, dass dies die Sharing-Entwicklungen beschleunigen werde.
„Die Möglichkeiten des autonomen Fahrens werden aber auch den öffentlichen Nahverkehr in dünn besiedelten Regionen nicht nur erhalten, sondern verbessern“, betont Carolin Mentz, Principal bei Oliver Wyman und Mit-Autorin der Studie: „Automatisiert fahrende Elektro-Kleinbusse werden künftig viele regionale Strecken mit geringer Verkehrsnachfrage flexibler und weitaus kundengerechter bedienen können als heute – wenn überhaupt noch fahrende – Nahverkehrszüge.“ Dies betreffe besonders Dörfer und kleine Städte, aber auch Verbindungen, die ausserhalb des Pendler-Berufsverkehrs nur wenig ausgelastet sind.
Rückzug aus dem regionalen Schienenverkehr
Die Studie erwartet einen weit gehenden Rückzug des Schienenverkehrs aus der Fläche – nicht zuletzt auch wegen der hohen Investitionen in Infrastruktur, Rollmaterial und Kosten des laufenden Betriebs. Bis 2040 würden allein in Deutschland 20 bis 30 Prozent der Ausgaben für Schienen und Züge eingespart werden. Eisenbahnen werden in der Mobilitätswelt der Zukunft jedoch gleichwohl ihre Berechtigung haben, betont Mentz: „Auf den grossen Verkehrsachsen und in den Ballungszentren wird die Arbeitsteilung genau anders herum funktionieren. Hier wird man das Eisenbahnnetz weiter ausbauen müssen.“ Gerade im Hinblick auf die Klimaschutzziele der Pariser Klimakonferenz von 2015 stellten moderne, leistungsfähige und hochwertige Bahnangebote das Rückgrat der Mobilität dar. Sharing-Angebote oder autonome Elektrobusse würden dann häufig die individuelle Zubringer-Funktion zu Mobilitäts-Hubs übernehmen.
Intelligente Lösungen, mangelnde Vorbereitung
Intelligente Lösungen, insbesondere selbstlernende Systeme und vermehrte Vernetzung aller Verkehrsträger, werden der Studie zufolge das Mobilitätsverhalten völlig verändern. Verstärkt würden spezielle Dienstleister für die Kunden über Apps individuelle Pakete zusammenstellen, die das Verkehrsangebot zur kompletten, optimalen Reisekette verbinden, losgelöst von der Verkehrsmittelwahl. Damit rechnet ein Grossteil der befragten Experten. Zwei Drittel erwarten zudem eine Zunahme der Mobilität, veranlasst durch bessere, individuellere Angebote. Die Mobilitätsdienstleister könnten nach dem Vorbild der heute bereits existierenden Buchungsportale für Hotels, Flüge und Urlaubsreisen durchaus branchenfremde Newcomer sein. „Die heutigen Player in der Verkehrsbranche“, so D’Incà, „ahnen inzwischen zwar, dass ihre Positionen im Markt gefährdet sind, doch unsere Untersuchung hat gezeigt: Sie sind noch weit davon entfernt, sich strategisch auf die neue Situation einzustellen.“ Besonders deutlich werde das in einem Punkt der Befragung: Zwar hätten 58 Prozent ihre Veränderungsbereitschaft formuliert, doch nur fünf Prozent daraus die dafür nötigen Schlüsse für zukünftige Investitionen oder Geschäftsfelder gezogen. (Oliver Wyman/mc/ps)