Tel Aviv / Gaza / Washington – Während sich die internationalen Vermittler im Gaza-Krieg weiter um eine Feuerpause und eine Freilassung von Geiseln bemühen, kommen aus den USA und Israel unterschiedliche Signale zum Stand der schwierigen Verhandlungen. US-Präsident Joe Biden zeigte sich am Montagabend (Ortszeit) optimistisch, dass es schon nächste Woche zur Waffenruhe kommt.
Die israelischen Fernsehsender Channel 12 und Kan zitierten dagegen israelische Beamte, denen zufolge ein von den Vermittlern Ägypten, Katar und USA vorgeschlagener Verhandlungsrahmen weiterhin nicht mit den Forderungen der Hamas vereinbar sei. Die Hamas wiederum bezichtigte Israel, eine Blockadehaltung an den Tag zu legen. Ob die Vermittler bis zum Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan um den 10. März einen Deal aushandeln können, erscheint damit vorerst weiter ungewiss.
Biden hofft auf Waffenruhe bis Montag
Biden versprühte jedoch Zuversicht: «Mein nationaler Sicherheitsberater sagt mir, dass wir nahe dran sind», sagte er beim Eisessen in New York auf eine Frage der anwesenden Presse. Noch sei man nicht am Ziel. «Ich hoffe, dass wir bis kommenden Montag eine Waffenruhe haben werden», sagte der US-Präsident. Die Hamas habe jedoch noch keine offizielle Antwort auf den von Ägypten, Katar und USA kürzlich in Paris vorgeschlagenen Verhandlungsrahmen vorgelegt, berichtete die «Times of Israel». Der Rahmen, den Israel früheren Medienberichten zufolge akzeptieren würde, sieht zunächst eine rund sechswöchige Waffenruhe vor. In dieser Zeit sollen demnach 40 Geiseln in der Gewalt der Hamas gegen mehrere hundert palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden. Der arabische Fernsehsender Al Dschasira gab die Zahl der palästinensischen Häftlinge, die Israel angeblich bereit sei, freizulassen, mit 400 an.
Berichte über weiterhin grosse Kluft zwischen Israel und der Hamas
Ein entscheidender Knackpunkt scheine das Beharren Israels darauf zu sein, dass eine befristete Waffenruhe kein Ende des Krieges garantieren wird, schrieb die «Times of Israel» am Montagabend. Genau das aber fordert die Hamas. «Im Augenblick gibt es keine Fortschritte», zitierte das israelische Nachrichtenportal «Ynet» einen Vertreter der Regierung. «Zwischen den Seiten besteht eine grosse Kluft, und die Vermittler bemühen sich, sie zu überbrücken. Wir arbeiten weiter, um zu Ergebnissen zu kommen.» Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hält am Kriegsziel fest, die Hamas zu zerschlagen.
Zu dem Zweck bereitet das Militär eine Offensive auf die an Ägypten grenzende Stadt Rafah im Süden des abgeriegelten Gazastreifens vor. Die Hunderttausenden Zivilisten, die dort Schutz suchen, sollen weiter nördlich in Sicherheit gebracht werden. Entsprechende Pläne legte das Militär am Montag dem Kriegskabinett vor. Details dazu sind bisher nicht bekannt. Israels Vorhaben in Rafah stösst international, auch bei Verbündeten, auf deutliche Kritik.
Auslöser des Gaza-Krieges war ein Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. Auf israelischer Seite wurden dabei mehr als 1200 Menschen getötet. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde ist die Zahl der im Gazastreifen seither getöteten Palästinenser auf inzwischen fast 30 000 gestiegen. Die hohe Zahl der zivilen Opfer darunter wird international deutlich kritisiert.
UN-Hilfswerk: Humanitäre Lieferungen für Gaza im Februar halbiert
Die Menge der Hilfslieferungen für die Not leidende Bevölkerung hat sich nach UN-Angaben im Februar im Vergleich zum Vormonat halbiert. «Die Hilfe hätte gesteigert und nicht vermindert werden müssen, angesichts der enormen Bedürfnisse von zwei Millionen Palästinensern in furchtbaren Lebensbedingungen», erklärte Philippe Lazzarini, der Chef des Palästinenserhilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA), am Montag auf der Plattform X (vormals Twitter). Im Schnitt seien in diesem Monat pro Tag nur 98 Laster mit Hilfslieferungen in den abgeriegelten Küstenstreifen gelangt, erklärten die UN weiter. Israel kontrolliert zusammen mit Ägypten die Grenzübergänge in den abgeriegelten Gazastreifen.
Israel reicht Bericht beim Weltgerichtshof ein
Israel hat unterdessen den vom Internationalen Gerichtshof (ICJ) angeforderten Bericht über Massnahmen zur Vermeidung eines Völkermords in dem Küstengebiet am Sitz des UN-Gerichts eingereicht. Das berichtete die israelische Zeitung «Haaretz» am Montagabend unter Berufung auf politische Kreise. Das Land kam damit einer vom Gericht gesetzten Frist nach. Über den Inhalt des Berichts machte die Zeitung keine Angaben. Südafrika hatte Israel wegen angeblich im Gaza-Krieg begangener Verstösse gegen die Völkermordkonvention angeklagt. Das UN-Gericht hatte in einem einstweiligen Entscheid verfügt, dass Israel Schutzmassnahmen ergreifen müsse, um einen Völkermord zu verhindern. Ausserdem müsse es mehr humanitäre Hilfe für die Not leidende Bevölkerung im Gazastreifen zulassen. Über den Vorwurf des Völkermords entscheidet der Gerichtshof in einem längeren Verfahren.
Wirbel um Berichte über Nutzung israelischer SIM-Karten vor Hamas-Massaker
Israel bestreitet die Völkermordvorwürfe entschieden. Es beruft sich auf sein Recht auf Selbstverteidigung nach dem beispiellosen Terrorüberfall der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober. Eine grosse Frage ist bis heute, wie Israels Geheimdienst, das Militär und die politische Führung derart überrascht werden konnten. Am Montag sorgten in diesem Zusammenhang Medienberichte über die Aktivierung israelischer SIM-Mobilfunkkarten durch die Terroristen kurz vor ihrem Überfall für Wirbel. Das israelische Militär sah sich laut der «Times of Israel» gezwungen, klarzustellen, dass der Geheimdienst zwar Anzeichen hatte, dass «einige» israelische SIM-Karten in Gaza aktiviert worden seien. Aber diese seien auch schon früher benutzt worden, ohne dass etwas passiert sei. Berichte, wonach 1000 Karten kurz vor dem Angriff gleichzeitig aktiviert worden seien, seien falsch.
Israel tötet Hisbollah-Kommandeur im Südlibanon
Unterdessen dauern auch die gefährlichen Spannungen in Israels Grenzgebiet zum Libanon an. Das israelische Militär tötete nach eigenen Angaben am Montag bei einem Luftangriff einen höheren Offizier der schiitischen Hisbollah-Miliz im Südlibanon. Brigadekommandeur Hussein Salami sei gezielt getötet worden, weil er Raketenangriffe auf die nordisraelische Stadt Kiriat Schmona und ein örtliches israelisches Militärkommando befehligt habe, hiess es. Die Hisbollah bestätigte den Tod Salamis, machte aber keine Angaben zu seinem Rang. Seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges hat sich der Konflikt Israels mit der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz verschärft. Israel hat bereits mehrmals gewarnt, dass es auch zu einem grösseren Militäreinsatz bereit sei, falls diplomatische Bemühungen ins Leere laufen sollten.
Was am Dienstag wichtig wird
Während die Verhandlungen über eine Feuerpause im Gazastreifen sowie den Austausch von Geiseln gegen Häftlinge weitergehen, berichten Hilfsorganisationen in Genf über die humanitäre Lage in dem abgeriegelten Küstengebiet. (awp/mc/ps)