Hiroshima – Und Joe Biden macht es doch. Nach monatelangem Zögern lenkt der US-Präsident ein und erfüllt seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj einen drängenden Wunsch: Biden macht den Weg frei für eine Lieferung von Kampfjets des amerikanischen Typs F-16 an Kiew. Schon wenige Wochen nach dem russischen Einmarsch im Februar 2022 bat die Ukraine um Kampfflugzeuge. Auf ihre stetigen Forderungen und Bitten in den Monaten danach kam aus Washington ein rigoroses Nein. Jetzt folgt die Kehrtwende der US-Regierung.
Was genau ist geplant?
Die USA unterstützen die Ausbildung ukrainischer Piloten an Kampfjets westlicher Bauart. Gemeinsam mit Partnern soll dann entschieden werden, wann und wie viele Flugzeuge geliefert werden und wer sie zur Verfügung stellt. Das Pilotentraining wird ausserhalb der Ukraine in Europa organisiert und soll möglichst schon in den kommenden Wochen beginnen. Nach Angaben von Militärs dauert es vermutlich vier bis neun Monate, auf Sowjetmodellen ausgebildete ukrainische Kampfpiloten im Umgang mit einem westlichen Flugzeugmodell zu schulen. Die komplette Ausbildung eines flugunerfahrenen Soldaten zum Kampfpiloten nimmt in der Regel mindestens vier Jahre in Anspruch.
Haben die USA selbst eine Lieferung von F-16 zugesagt?
Nein. Die US-Regierung hat das ausdrücklich offengelassen. Der Weg ist aber geebnet dafür, dass andere Länder F-16 aus ihren Beständen an die Ukraine abgeben können. Biden hat dazu Zustimmung signalisiert – auch wenn die konkreten Entscheidungen dazu erst später fallen.
Warum hing alles an den USA?
Die F-16 werden von der US-Firma Lockheed Martin gebaut. Den USA kommt so eine Schlüsselrolle zu, nicht nur wegen ihrer grossen eigenen Bestände. Sie müssen auch jeden Export von F-16 aus den Beständen Verbündeter genehmigen. Und sie haben wegen der sensiblen Technologie der Jets selbst Mitsprache dabei, wer daran ausgebildet wird. Den europäischen Partnern waren ohne ein OK der USA die Hände gebunden.
Die US-Ankündigung bezieht sich auf Trainings an «Kampfflugzeugen der vierten Generation, einschliesslich der F-16». Was bedeutet das?
Es bedeutet, dass Kiew die allerneuesten Kampflugzeuge wie F-35 vorerst nicht bekommen soll – und dass neben F-16 auch noch andere Typen geliefert werden könnten. Zur vierten Generation gehören auch die von Deutschland genutzten Tornados und Eurofighter, französische Mirage 2000 oder andere US-Modelle wie F-15 und F/A-18 Hornet.
Welche Länder haben F-16, und wer will sich beteiligen?
Als Lieferländer für die F-16 kommen neben den USA noch diverse andere Staaten wie die Niederlande, Belgien, Polen, Dänemark und Griechenland infrage. Am Training wollen sich auch Grossbritannien und Frankreich beteiligen, die selbst keine F-16 im Einsatz haben.
Warum will Kiew unbedingt die F-16?
Die US-Jets gelten noch immer als äusserst leistungsfähig und sind weit verbreitet. Weltweit waren zuletzt noch mehr als 2800 Exemplare im Einsatz. Kiew kann deswegen darauf hoffen, grössere Stückzahlen und keine grossen Probleme bei der Ersatzteilbeschaffung zu bekommen.
Was erhoffen sich die Ukrainer von den Kampfjets?
Sie gehen davon aus, dass sich mit F-16 die Zahl erfolgreicher russischer Raketen- und Drohnenangriffe deutlich reduzieren lassen könnte. Dazu würden sie zusammen mit bodengestützten Flugabwehrsystemen eingesetzt. Zudem will die Ukraine westliche Jets, um sie bei Offensiven gegen Russland zur Unterstützung der Bodentruppen einzusetzen. Die Ukrainer argumentieren, F-16 würden helfen, die eigenen Truppen zu schützen, ihre Verluste zu reduzieren und womöglich auch für ein schnelleres Kriegsende zu sorgen.
Ist Deutschland mit dabei bei der Kampfjet-Koalition?
Davon ist nicht auszugehen. Kanzler Olaf Scholz hat die Lieferung von Kampfjets westlicher Bauart schon vor Wochen als nicht sinnvoll bezeichnet. Auch weist er darauf hin, dass Deutschland schon zu den wichtigsten Waffenlieferanten für Kiew zählt. Seine Devise: keine Waffensysteme neuer Qualität, sondern mehr vom selben. F-16 hat Deutschland ohnehin nicht. London und Paris hindert dies allerdings auch nicht daran, mitzumachen.
Warum haben die Amerikaner so lange gezögert?
Sorge bereitete den USA, dass die westlichen Kampfjets womöglich für Attacken über russischem Gebiet eingesetzt werden und Moskau so zur Eskalation des Krieges über die Ukraine hinaus veranlassen könnten. Die Amerikaner argumentierten auch mit dem grossen Aufwand bei der Ausbildung der Piloten und der Techniker, die die Jets instand halten müssen. Nicht zuletzt sind die F-16 sehr teuer und würden den finanziellen Spielraum für andere Waffensysteme einschränken.
Warum hat Biden ausgerechnet jetzt eingelenkt?
Europäer drängten die USA zuletzt zunehmend, sich zu bewegen. Hinter vorgehaltener Hand schlossen die Amerikaner nie aus, am Ende doch F-16 zu liefern oder Partnern dabei zumindest nicht im Weg zu stehen – nicht unbedingt aus Überzeugung, sondern im Zweifel auch nur, um die Allianz der Ukraine-Unterstützer zusammenzuhalten. Auch der Bereitstellung eigener Kampfpanzer an Kiew etwa stimmten die USA erst nach langem Zögern zu – um Deutschland Rückendeckung für die Lieferung seiner Leoparden zu geben. Das Timing dürfte zudem auch mit Selenskyjs Überraschungsbesuch beim G7-Gipfel in Japan zusammenhängen.
Wie begründen die Amerikaner die Entscheidung selbst?
Offiziell will die US-Regierung von einer Kehrtwende nichts wissen. Bidens Nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan, sagt, vorher sei schlicht nicht die richtige Zeit für F-16 gewesen. Die Entscheidung über Waffenlieferungen sei immer dem gefolgt, was im Kriegsgeschehen gebraucht werde. Nun gehe es darum, was Kiew langfristig brauche, um Russland abzuschrecken und abzuwehren. Da kämen die Jets ins Spiel. (awp/mc/pg)