London – Aus Protest gegen das Verhalten des britischen Regierungsberaters Dominic Cummings in der Corona-Krise ist Staatssekretär Douglas Ross zurückgetreten. Cummings Interpretation der Ausgangsbeschränkungen «können die meisten Menschen, die die Regeln der Regierung befolgen, nicht nachvollziehen», schrieb Ross am Dienstag an Premierminister Boris Johnson. In Johnsons Konservativer Partei hatte es schon zuvor scharfe Kritik an Cummings gegeben. Britische Kommentatoren schliessen weitere Rücktritte nicht aus.
«Ich habe Wähler, die sich nicht von ihren Liebsten verabschieden konnten, Familien die nicht zusammen trauern konnten, Menschen, die nicht ihre kranken Verwandten besuchten, weil sie die Regeln der Regierung befolgten», so der Staatssekretär für Schottland. Er könne doch nicht allen sagen, sie lägen falsch und Cummings richtig.
Druck auf Johnson und Cummings steigt
Mehr als 30 Tory-Politiker fordern inzwischen den Rücktritt Cummings. Sechs Oppositionsführer haben in einem Brief an Johnson appelliert, seinen Berater abzusetzen: Nur so könne wieder Vertrauen in die Anweisungen der Regierung hergestellt werden, argumentierten sie.
Cummings hatte am Montag in einer einstündigen Pressekonferenz Vorwürfe, er habe Ausgangsbeschränkungen mit einer Reise zu seinen Eltern ignoriert, strikt zurückgewiesen. Er bedaure sein Verhalten nicht und habe auch nie einen Rücktritt in Erwägung gezogen, so Cummings, der als hochintelligent und unberechenbar gilt.
Cummings Erklärung empört die Briten
Der Chefberater hatte als Grund für die Reise Ende März nach Durham im Nordosten Englands angegeben, dass er so die Betreuung seines kleinen Sohnes sicherstellen wollte: Seine Frau sei an Covid-19 erkrankt gewesen und er selbst habe mit einer Ansteckung gerechnet. Auf grosse Empörung stiess in Grossbritannien, dass er von dort zu einem etwa 50 Kilometer entfernten Schloss gefahren war, um nach eigenen Angaben seine Sehkraft nach der überstandenen Infektion zu testen. Der Vorfall war durch eine Anzeige ans Licht gekommen.
Es gebe grosse Bedenken beim staatlichen Gesundheitsdienst NHS, dass Cummings Äusserungen das Vertrauen in die Regierung und in Massnahmen zur Pandemie-Eindämmung schwächen könnten, sagte Niall Dickson von der Dachorganisation NHS Confederation. «Man kann es gar nicht oft genug sagen, dass die Handlungsanweisungen tatsächlich schon Tausende Leben gerettet haben», sagte er dem Sender BBC. Geistliche, die Cummings Verhalten kritisiert hatten, erhielten nach eigenen Angaben über soziale Medien Morddrohungen. (awp/mc/pg)