Deutscher Bundestag sagt Ja zu Euro-Hilfen
Kanzlermehrheit erhalten: Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Berlin – Der Bundestag hat die umstrittene Ausweitung des Euro-Rettungsschirms EFSF mit grosser Mehrheit gebilligt. Dafür stimmten am Donnerstag 523 Abgeordnete. 85 Parlamentarier waren dagegen, 3 enthielten sich. Die Union und die Liberalen kamen auf 315 Stimmen – also vier mehr, als für die Kanzlermehrheit notwendig gewesen wären.
Sowohl in der Union als auch in der FDP hatten Abgeordnete angekündigt, gegen weitere Euro-Hilfen stimmen zu wollen. Für die «Kanzlermehrheit» darf sich das Regierungslager von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nur 19 Abweichler erlauben. Vor der weltweit mit Spannung erwarteten Abstimmung wies Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Befürchtungen zurück, auf die Steuerzahler könnten zusätzliche Haftungsrisiken zukommen. Der bisherige Garantierahmen von 211 Milliarden Euro für Deutschland werde nicht erhöht. «Das steht nicht zur Debatte.» Schäuble verwahrte sich gegen Vorwürfe der Opposition, er verheimliche dem Parlament etwas: «Es wird nichts verschwiegen.»
Mehr Geld und neue Instrumente
Der gestärkte EFSF-Fonds erhält mehr Geld und neue Instrumente, um schneller reagieren zu können. So kann er künftig auch Anleihen kriselnder Staaten kaufen – sowohl von Regierungen als auch von Investoren. Angeschlagene Länder können zudem vorsorglich Kredite erhalten. Auch können Euro-Länder Geld bekommen, um ihre Finanzinstitute in einer Schieflage stützen zu können. Damit der Rettungsfonds tatsächlich Notkredite von 440 Milliarden ausreichen kann, soll der Garantierahmen auf 780 Milliarden Euro erhöht werden. Mit dieser Bürgschaft sichern die Euro-Länder, dass sich der EFSF-Fonds mit höchster Kreditwürdigkeit günstig selbst Geld borgen kann. Deutschland schultert davon 211 Milliarden Euro. Als voraussichtlich letztes Land der 17 Euro-Staaten wird die Slowakei womöglich noch im Oktober der Ausweitung zustimmen.
Mehr Beteiligungsrechte des Parlaments
Der Bundestag beschloss zugleich mehr Beteiligungsrechte des Parlaments bei künftigen Euro-Hilfen. Bisher reichte es, dass sich die Bundesregierung bei Euro-Hilfen um «Einvernehmen» mit dem Haushaltsausschuss des Bundestages «bemüht». Künftig ist der Bundestag in alle Entscheidungen über Euro-Hilfsaktionen eingebunden. Bei eiligen und vertraulichen Entscheidungen soll ein Gremium des Haushaltsausschusses entscheiden. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sagte, so sei das «Königsrecht» des Bundestages über den Haushalt gesichert.
Reizwort «Hebelwirkung»
Die EFSF-Reform ist aber nur ein Schritt, um die Turbulenzen in der Euro-Zone einzudämmen. Noch im Herbst soll über ein zweites Rettungspaket für Griechenland in Höhe von 109 Milliarden abgestimmt werden. Anfang nächsten Jahres soll der Bundestag zudem den ab Mitte 2013 geplanten Euro-Rettungsschirm ESM absegnen. Daneben wird heftig über eine nochmalige Stärkung des EFSF-Fonds über die jetzige Reform hinaus debattiert. Reizwort ist eine «Hebelwirkung», mit der aus EFSF-Notkrediten über zusätzliche Geldgeber und Absicherungen eine noch grössere Summe wird.
Schäuble wehrt sich gegen Vorwürfe
Schäuble sagte im Bundestag, Verdächtigungen und Diffamierungen, er wolle den Bundestag täuschen, seien «unanständig und unseriös». Die Haftungssumme von 211 Milliarden Euro könne nicht ohne eine neue Entscheidung des Parlaments vergrössert werden. Falls sich in der Zukunft etwas anderes ergebe, müsse der Bundestag das beschliessen. Im Deutschlandfunk sagte Schäuble, er habe das Wort Kredithebel nicht verwendet. «Wir werden natürlich diesen Fonds, das haben wir auch in der Vergangenheit gesagt, so effizient wie möglich nutzen.» Am Rande der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) hatte Schäuble zur Debatte über einen «Hebel» eventuell mit Hilfe der Europäischen Zentralbank (EZB) erklärt, es gebe «andere Formen der Hebelwirkungen einzusetzen, als den Rückgriff auf die EZB».
Steinbrück: «Bisherige Rettungsschirme reichen nicht aus»
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte im Deutschlandfunk, der EFSF werde nicht durch einen «Hebel» zusätzlich verstärkt. «Meines Erachtens wird es ihn nicht geben, weil hier der Text völlig eindeutig ist.» Nach Meinung von Ex-Finanzministers Peer Steinbrück (SPD) reichen die bisherigen Rettungsschirme nicht aus. «Ich bin mir ganz sicher, dass wir bei Griechenland an einem Schuldenschnitt unter Einbeziehung der Gläubiger nicht vorbei kommen», sagte Steinbrück, der als möglicher SPD-Kanzlerkandidat gehandelt wird.
Trittin: Krise zu gross für Merkel
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte an die Adresse der Kanzlerin: «Diese Krise ist zu gross für kleine Schritte und offensichtlich zu gross für Sie.» Er warf der Regierung vor, die Besteuerung von Spekulationen an den Finanzmärkten zu blockieren. Linke-Fraktionschefs Gregor Gysi forderte die Regierung auf, eine Garantieerklärung abzugeben. «Wenn der Rettungsschirm in Anspruch genommen wird, haftet die deutsche Bevölkerung für 211 Milliarden Euro.» Die Regierung müsse ausschliessen, dass dieses dann zulasten der Arbeitnehmer, Arbeitslosen und Kleinunternehmer gehe. (awp/mc/upd/ps)