London / Washington / Kiew – Angesichts fast täglicher Hilferufe aus der Ukraine nach Waffenhilfe für den Kampf gegen den russischen Angriffskrieg hat nun Grossbritanniens Aussenminister David Cameron in den USA um Unterstützung für das Land geworben. «Wenn wir den Ukrainern die Unterstützung geben, die sie verdienen, können sie diesen Krieg gewinnen», sagte er am Dienstag. Cameron berichtete, er habe dazu auch diverse Treffen mit Abgeordneten und Senatoren aus dem US-Kongress geplant. Indes appellierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erneut an den Westen, endlich Waffen und Munition zu schicken.
Cameron sagte, er komme als Freund der USA und sei der festen Überzeugung, dass die weitere Unterstützung Kiews im eigenen Sicherheitsinteresse Amerikas sei. «Ich komme hierher, ohne die Absicht, irgendjemanden zu belehren oder irgendjemandem zu sagen, was er zu tun hat, oder mich in den politischen Prozess und andere Dinge der Vereinigten Staaten einzumischen», betonte der britische Aussenminister.
Die USA galten in den vergangenen zwei Jahren seit dem Beginn des Krieges als wichtigster Verbündeter Kiews und lieferten in gewaltigem Umfang Waffen und Munition. Seit geraumer Zeit gibt es jedoch keinen Nachschub mehr aus den USA. Hintergrund ist eine innenpolitische Blockade im US-Kongress, wo Republikaner – angetrieben von dem früheren Präsidenten Donald Trump – weitere Hilfen für Kiew zurzeit verweigern. Cameron traf sich bei seinem USA-Besuch auch mit Trump.
Selenskyj kritisiert erneut ausbleibende Waffenhilfe des Westens
Selenskyj beklagte erneut die ausbleibende Waffenhilfe des Westens. «Unsere Partner haben bestimmte Waffen, die wir heute brauchen, um zu überleben. Und ich verstehe einfach nicht, warum wir diese Waffen nicht bekommen», sagte Selenskyj, der sich am Dienstag in Charkiw im Osten der Ukraine aufhielt, in einem Interview der «Bild»-Zeitung und weiterer Axel-Springer-Medien («Welt», «Politico», «Business Insider» und «Onet»). Er hatte zuletzt immer wieder mehr Flugabwehrsysteme und Munition gefordert.
Derweil schickte die US-Regierung der Ukraine eigenen Angaben nach Tausende beschlagnahmte Maschinengewehre aus dem Iran. Die Waffen seien vom US-Militär und den Streitkräften von Verbündeten auf vier Schiffen ohne Flagge zwischen 2021 und 2023 im Arabischen Meer beschlagnahmt worden, teilte das US-Justizministerium am Dienstag mit. Die Schiffe hätten sich auf dem Weg vom Iran in den Jemen befunden. Es seien rund 5000 Sturmgewehre vom Typ AK-47, Scharfschützengewehre und Maschinengewehre sowie rund 500 000 Schuss Munition gesichert worden, hiess es weiter. Dem Justizministerium zufolge wollte der Iran die Waffen den Huthi-Rebellen im Jemen schicken – ein Verstoss gegen eine Resolution des UN-Sicherheitsrats. Die USA erklärten die Munition zu ihrem Eigentum.
Selenskyj besuchte die von russischen Angriffen gezeichnete Region Charkiw, um dort auch auf die Schäden etwa an der Energieinfrastruktur sowie auf Probleme bei der Stromversorgung hinzuweisen. Er machte laut dem Interview zudem deutlich, dass er weiter auf den deutschen Marschflugkörper Taurus hofft. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der Bundestag hatten die Lieferung des Taurus abgelehnt. «Soweit ich es verstehe, sagt der Bundeskanzler, dass Deutschland keine Atommacht ist und dass es das stärkste Waffensystem in Deutschland ist», sagte Selenskyj. Der ukrainische Präsident deutete demnach an, dass das deutsche Nein zu Taurus-Lieferungen auch mit den Atomdrohungen von Kremlchef Wladimir Putin zu tun habe.
Putin führt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine seit mehr als zwei Jahren. Selenskyj hofft vor allem auch weiter auf die US-Hilfen in Milliardenhöhe für den Krieg. Zwar habe Russland mehr Waffen und Menschen. «Aber die modernen Waffensysteme hat der vereinigte Westen», sagte Selenskyj. Damit könne Russland geschlagen werden und die Ukraine siegen.
Den Angaben zufolge bestätigte Selenskyj auch, dass die Ukraine eine neue Gegenoffensive zur Befreiung ihrer von Russland besetzten Gebiete plane. Dafür seien die Waffen nicht zuletzt aus den USA nötig. Dazu erwartet Selenskyj auch Trump, der wieder als Präsident gewählt werden will im Herbst, bald in der Ukraine. Trump habe einer Einladung zugestimmt. Einen Termin gebe es aber nicht.
Selenskyj hatte immer wieder erklärt, dass ohne Hilfe des Westens der Ukraine eine Niederlage in dem Krieg drohe. In dem Interview sagte er nun auch, dass er bei einem drohenden Scheitern trotzdem im Land bleiben wolle. «Ich kann mein Land nicht verlassen. Unter keinen Umständen.»
Selenskyj besucht von Russland angegriffene Region Charkiw
Bei seinem Besuch im ostukrainische Grenzgebiet Charkiw machte sich Selenskyj selbst ein Bild von der Lage und den Schäden nach den russischen Angriffen. Er warf Russland in einer Videobotschaft vor, über die Raketenangriffe und Bombardierungen von Charkiw und Umgebung die Menschen aus der Millionenstadt und der Region vertreiben zu wollen.
«Alles was (der russische Präsident Wladimir) Putin anfasst, verwandelt sich in Ruinen», sagte Selenskyj. Kiew werde jedoch alles tun, um die Stadt besser vor russischen Angriffen zu schützen. «Wir haben eine Lösung, um die Flugabwehr hier zu verstärken.» Selenskyj appellierte zugleich an die internationalen Verbündeten, mehr für eine Stärkung der ukrainischen Flugabwehr zu tun – nicht nur in Charkiw.
Ebenso inspizierte der Staatschef den Fortschritt beim Bau von Verteidigungslinien entlang der russischen Grenze. Zuletzt hatten sich Befürchtungen über einen neuen russischen Vorstoss in Richtung der nach Kiew zweitgrössten ukrainischen Stadt gehäuft.
Die Ukraine wehrt sich seit über zwei Jahren gegen die russische Invasion. Die nur etwa 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernte Grossstadt Charkiw war im März besonders stark von russischen Angriffen vor allem auf die Energieinfrastruktur betroffen. Zeitweise war die Millionenstadt komplett ohne Strom und es kommt regelmässig zu Stromabschaltungen. (awp/mc/ps)