Bern / Berlin – An der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Berlin hat Bundespräsident Ignazio Cassis betont, dass der Ukraine mittel- und langfristige Perspektiven geboten werden müssten. Er forderte schnelle und präzise Antworten, um einen «Marshall-Plan» auf den Weg zu bringen.
«Während die Europäische Union angesichts der Bestrebungen der Ukraine, ihr beizutreten, eine führende Rolle spielen soll, sind alle Parteien aufgerufen, ihre Kräfte im Rahmen dieses Prozesses zu bündeln», betonte der Schweizer Aussenminister am Dienstag laut Redetext an der Konferenz unter der Schirmherrschaft der Europäischen Kommission und der deutschen G7-Präsidentschaft.
Die Europäische Politische Gemeinschaft, die sich am 6. Oktober in Prag unter Teilnahme der Schweiz zum ersten Mal traf, könnte eine unterstützende Rolle spielen, sagte Cassis.
Der Bundespräsident hatte vergangene Woche seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj in Kiew besucht und sich ein Bild von den Zerstörungen durch russische Angriffe gemacht. Cassis lobte in Berlin Mut und Tapferkeit des ukrainischen Volkes.
Vertrauen in Behörden zentral
Aber auch aussereuropäische Staaten und multilaterale Organisationen hätten ihre Rolle beim Wiederaufbau der Ukraine zu spielen, meinte der Tessiner, der Vertrauen als zentrales Element hervorhob, sowohl zwischen der Ukraine und ihren internationalen Partnern als auch zwischen den Ukrainern und ihren Behörden.
Cassis erinnerte daran, dass im Juli mit der Konferenz in Lugano die «erste Etappe» und die sieben Grundsätze zum Wiederaufbau der kriegszerstörten Ukraine festgelegt worden seien.
Wie es in der «Lugano Deklaration» heisse, hätten die Ukraine und ihre Bevölkerung «das Heft in der Hand», betonte der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Auch die Rollen und Verantwortlichkeiten der verschiedenen ukrainischen Behörden und der Zivilgesellschaft müssten geklärt werden. «Sie können auf uns zählen», schloss der Bundespräsident.
Der Wiederaufbau werde eine «grosse, grosse Aufgabe», sagte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz als Gastgeber zur Eröffnung der Konferenz in Berlin nach Angaben der Organisatoren. Man werde sehr viel investieren müssen, damit das gut funktioniere. Das könne die Ukraine nicht allein, und das könne auch die Europäische Union nicht allein. Das könne nur die ganze Weltgemeinschaft.
Bereits Dutzende Milliarden Soforthilfe
Die internationale Gemeinschaft leistet der Ukraine bereits seit Monaten Unterstützung. Mehr als 35 Milliarden Franken haben die G7-Staaten, die Europäische Union und ihre Mitglieder bislang allein an Soforthilfe aufgebracht.
Die Staatengemeinschaft hat scharfe Sanktionen gegen Russland ergriffen, der Ukraine Waffen geliefert, die ukrainische Wirtschaft unterstützt, und es wurden Millionen Flüchtlinge in einer Vielzahl von Ländern aufgenommen.
Russische Angriffe seit acht Monaten
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am 24. Februar den Befehl zum militärischen Überfall auf die Ukraine gegeben. Seither sind zahlreiche russische Kriegsverbrechen an der ukrainischen Zivilbevölkerung bekannt geworden. Allein der materielle Schaden an Gebäuden und Infrastruktur im ganzen Land wird nach acht Monaten bereits auf mehrere Hundert Milliarden Franken geschätzt.
In einem Aufsatz hatte Putin im Sommer 2021 dem südlichen Nachbarland Ukraine das Existenzrecht als Staat abgesprochen und betont, Ukrainer und Russen seien ein Volk. Der Kreml in Moskau wirft der ukrainischen Führung zudem vor, dem westlichen Militärbündnis Nato die Tür zur Bedrohung Russlands geöffnet zu haben mit einer bevorstehenden weiteren Ost-Ausdehnung. (awp/mc/ps)