China will Wachstum und Reformen – Ökonomen sehen Widerspruch
Chinas Ministerpräsident Li Keqiang.
Peking – Chinas Ministerpräsident Li Keqiang will in diesem Jahr einen schwierigen Balanceakt zwischen schnellem Wachstum und «schmerzhaften» Reformen versuchen. Trotz der wirtschaftlichen Schwäche gab der neue Premier am Mittwoch zum Beginn der Jahrestagung des Volkskongresses in Peking als Wachstumsziel wie im Vorjahr ein Plus von 7,5 Prozent vor. In seinem ersten Rechenschaftsbericht kündigte Li zugleich einschneidende marktwirtschaftliche Umstrukturierungen und Finanzreformen an.
«Chinas Reform hat eine kritische Phase erreicht», sagte Li Keqiang vor knapp 3000 Delegierten in der Grossen Halle des Volkes. Er warnte vor «tief sitzenden Problemen» und einem starken Abwärtsdruck für die Wirtschaft. 2013 waren im zweiten Jahr in Folge 7,7 Prozent Wachstum erreicht worden – so wenig wie zuletzt 1999. «Die Erholung der Weltwirtschaft erlebt weiter Instabilität und Ungewissheiten», sagte der Premier, der dennoch ein «angemessenes Wachstum» anstrebt.
Kritik von Experten
Experten reagierten kritisch auf seinen uneingeschränkten Wachstumskurs, der aus ihrer Sicht auf Kosten der Reformen geht. Ein derart hohes Wachstum könne nur durch Lockerung der Geldpolitik erreicht werden, was die Verschuldung und Finanzrisiken nur noch verschärfe. «Es ist das Rezept für eine Katastrophe», sagte der Ökonom Andrew Polk vom US-Forschungsinstitut Conference Board der dpa. Dafür sei ein Kreditwachstum um mehr als 16 Prozent nötig.
«Eine geringeres Ziel hätte signalisiert, dass die Führung ein langsameres Wachstum akzeptiert – anstatt zu Investitionen und Stimulus zurückzuspringen», sagte auch Jörg Wuttke, Berater der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD. Es wäre ein Signal, dass China «Reformen einem Wachstum um jeden Preis vorzieht». Um dieses Jahr wieder so schnell wachsen zu können, wären noch viel mehr Investitionen als noch 2013 nötig, sagte Wuttke der dpa.
Umstrukturierungen im Mittelpunkt
«Eine geldpolitische Lockerung trägt Risiken», warnte auch die australische ANZ-Bank. Das Schattenbankenwesen könnte sich wieder ausweiten und das Finanzsystem in Gefahr bringen. Trotz der deutlichen Skepsis über seinen Wachstumskurs versicherte Premier Li Keqiang unbeirrt: «Reformen haben in diesem Jahr höchste Priorität.»
Im Mittelpunkt stünden Umstrukturierungen, um dem Markt eine «entscheidende Rolle» einzuräumen, wie die Partei auf ihrem Plenum im November beschlossen hatte. Der heimische Konsum müsse «der wichtigste Motor» werden, was auch strukturelle Veränderungen zur Folge haben werde. «Chinas Reform steht am Scheideweg», sagte Li Keqiang: «Wir müssen uns von gedanklichen Fesseln lösen und entschieden gegen feste Interessengefüge vorgehen.»
Er räumte aber ein, dass Entwicklung weiter der Schlüssel zur Lösung aller Probleme sei. So spielen Investitionen aus staatlichen und vermehrt auch privaten Quellen weiter eine wichtige Rolle, wie aus dem Bericht des Premiers hervorgeht. Die Anlageinvestitionen sollen stark um 17,5 Prozent (2013: 19,6 Prozent) steigen.
Militäretat steigt
Ungeachtet der wirtschaftlich schlechteren Zeiten steigt der Militäretat unerwartet stark um 12,2 Prozent auf 808 Milliarden Yuan (95 Milliarden Euro), was als Signal in den Spannungen Chinas mit seinen Nachbarn und den USA gewertet wurde. Das Haushaltsdefizit klettert um 150 Milliarden auf 1,35 Billionen Yuan (160 Milliarden Euro) – wie im Vorjahr 2,1 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Der Finanzsektor soll vorrangig reformiert werden. Die Zins-Liberalisierung wird fortgesetzt, indem Finanzhäusern mehr Befugnisse gewährt werden, selbst Zinsen festzulegen. Der Premier kündigte auch an, dass China ein Versicherungssystem für Bankeinlagen einführen und Risikomechanismen von Finanzhäusern verbessern werde.
Die begrenzte Handelsspanne der chinesischen Währung werde ausgeweitet und der Kurs des Yuan (Renminbi) auf einem «angemessenen, ausgeglichenen Niveau» gehalten, sagte Li Keqiang. China wolle sich weiter auf eine Konvertibilität zubewegen. (awp/mc/upd/ps)