China toleriert niedrigeres Wachstum
Chinas Finanzminister Lou Jiwei.
Peking – Die neue chinesische Regierung ist offenbar bereit, für den strukturellen Umbau des Landes einen guten Teil Wirtschaftswachstum zu opfern. «Wir denken nicht, dass sechseinhalb bis sieben Prozent ein grosses Problem sein werden», sagte Chinas Finanzminister Lou Jiwei mit Blick auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum am Donnerstag auf einer Konferenz in Washington. Lou gab sich zuversichtlich, dass die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt im laufenden Jahr um sieben Prozent wachse. Das würde jedoch unter dem offiziellen Ziel liegen. Im März hatte die Regierung unter ihrem neuen Premier Li Keqiang ein Wachstumsziel von 7,5 Prozent ausgegeben.
Die politische Führung Chinas vollführt gegenwärtig einen Drahtseilakt: In einem ohnehin schwierigen weltwirtschaftlichen Umfeld versucht sie, das Geschäftsmodell des Landes neu auszurichten, ohne dabei die Binnenkonjunktur abzuwürgen. Chinas Wachstum der letzten Jahre hat stark auf seiner Exportstärke und Investitionen insbesondere im Bausektor basiert. Um die Abhängigkeit des Landes von der globalen Konjunktur zu verringern und die vom aufgeblähten Immobilienmarkt ausgehenden Gefahren zu mindern, soll dem Binnenkonsum künftig eine grössere Bedeutung zukommen. Obwohl die Neuausrichtung von vielen Beobachtern als langfristig sinnvoll eingestuft wird, kostete sie in der kurzen Frist Wachstum.
Unklar blieb am Freitag zunächst, ob die Äusserungen Lous auf eine Verringerung des offiziellen Wachstumsziels hindeuten. Die Nachrichtenagentur Market News International (MNI) berichtete mit Bezug auf Regierungskreise, das diesjährige Ziel von 7,5 Prozent bleibe bestehen. An der offiziellen Haltung der Regierung änderten die Worte Lous nichts.
«Strukturelle Anpassung ein schmerzhafter Prozess»
Am kommenden Montag wird die Regierung erste Wachstumszahlen für das zweite Quartal vorlegen. Bankvolkswirte erwarten eine Wachstumsrate von 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das wäre das geringste Wachstum seit der Weltwirtschaftskrise 2009. Dass die Regierung wie seinerzeit mit einer expansiven Ausgabenpolitik gegensteuern wird, halten die meisten Beobachter für unwahrscheinlich. Die Regierung scheint es ernst mit ihrem Kurswechsel zu meinen: «Lassen sie mich betonen, dass die strukturelle Anpassung ein schmerzhafter Prozess ist», sagte Finanzminister Lou.
Harte Linie
Die harte Linie der Regierung hatte sich unlängst auch am chinesischen Bankenmarkt gezeigt. Dort weigert sich die Zentralbank trotz immenser Verspannungen, den Geschäftsbanken mit breitangelegten Liquiditätsspritzen auszuhelfen. Mit der Linie sollen die Banken zu einer gemässigten und verantwortungsvolleren Kreditvergabe erzogen werden, um das Entstehen von Preisblasen an den Vermögensmärkten zu verhindern. (awp/mc/upd/ps)