Norditalien wegen Coronavirus abgeriegelt
Rom / Bern / Peking – Im Kampf gegen die Coronavirus-Epidemie hat die italienische Regierung zu in Europa beispiellosen Massnahmen gegriffen: Rom erliess am Sonntag ein grundsätzliches Ein- und Ausreiseverbot für die mehr als 15 Millionen Einwohner der Regionen im Norden des Landes, zu denen auch die Wirtschaftsmetropole Mailand und der Touristenmagnet Venedig gehören.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) begrüsste die Massnahmen und erklärte, die Italiener schützten ihr Land und die Welt. Denn schon am Sonntagabend kamen die nächsten schlechten Nachrichten aus Rom: Die Gesamtzahl der am Coronavirus gestorbenen Menschen in Italien erreichte bis dann 366. Das entspricht einem Anstieg von 133 innerhalb von 24 Stunden. Die Zahl der Infizierten kletterte auf 7375, wie der Chef des italienischen Zivilschutzes, Angelo Borrelli, sagte.
Regierungschef Giuseppe Conte erklärte via Twitter, die Abriegelung grosser Teile Norditaliens gelte von Sonntag an bis zum 3. April. Dadurch soll die weitere Ausbreitung der Epidemie eingedämmt werden.
Betroffen von den Massnahmen sind die Region Lombardei und 14 Provinzen. Dies seien Modena, Parma, Piacenza, Reggio Emilia, Rimini, Pesaro und Urbino, Alessandria, Asti, Novara, Verbano Cusio Ossola, Vercelli, Padua, Treviso und Venedig, sagte Conte. Damit treffen die Ein- und Ausreiseverbote mehr als 15 Millionen Menschen – ein Viertel der Gesamtbevölkerung Italiens.
Die Regierung in Rom rief alle einheimischen und ausländischen Touristen zum Verlassen der Quarantäne-Zonen in Norditalien auf. Ausnahmen beim grundsätzlichen Ein- und Ausreiseverbot sind nur aus dringenden beruflichen oder familiären Gründen und in gesundheitlichen Notfällen möglich.
Die italienische Regierung ordnete auch ein Verbot von kulturellen, sportlichen und religiösen Veranstaltungen an. Museen, Kinos und Theater sollen landesweit geschlossen bleiben. Die Schulen und Universitäten sind bereits seit Donnerstag in ganz Italien geschlossen.
Keine Beschränkung für Grenzgänger im Tessin
Die Grenze zwischen Italien und der Schweiz bleibt für Grenzgängerinnen und Grenzgänger offen. Das kündigte der italienische Aussenminister Luigi Di Maio seinem Amtskollegen Ignazio Cassis in einem Telefongespräch an, wie der Bundesrat am Sonntag mitteilte.
Alle Erwerbstätigen können sich demnach weiterhin fortbewegen, um ihrer Berufstätigkeit nachzugehen, und das sowohl zwischen den italienischen Regionen wie auch zwischen der Schweiz und Italien. Der Fortbestand des Tessiner Gesundheitssystems sollte damit gesichert sein, schreibt der Bundesrat.
Zweites Todesopfer in der Schweiz
In der Schweiz forderte das Coronavirus am Wochenende ein zweites Todesopfer. Es handelt sich um einen 76-jährigen Mann aus dem Kanton Basel-Landschaft. Bereits am vergangenen Donnerstag war im Kanton Waadt eine 74-jährige Frau an den Folgen des Coronavirus gestorben. Seit Freitagabend ist die Zahl der bestätigten Coronavirus-Fälle in der Schweiz bis Sonntag um 71 auf 281 gestiegen.
Unterdessen scheint der Schreck über die epidemischen Ausmasse des Coronavirus in Italien auch den Bewohnern des Vatikans in die Glieder gefahren zu sein: So sprach der Papst am Sonntag erstmals nur per Live-Stream zu den Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom.
Papst verkriecht sich in der Bibliothek
Er sei «nah» bei den Kranken und dem medizinischen Personal, das die Menschen betreue, beeilte sich Franziskus zu sagen. Es fühle sich aber «etwas merkwürdig» an, dass er das traditionelle Angelus-Gebet diesmal von seiner Bibliothek aus spreche, sagte er. Die Aufforderung der Mediziner zu mehr Distanz hatte der «oberste Hirte der römisch-katholischen Kirche und Vertreter Christi auf Erden» damit immerhin ernst genommen.
Das neuartige Coronavirus, das die Lungenkrankheit Covid-19 auslöst, hat sich mittlerweile auf fast 100 Länder ausgebreitet. Weltweit wurden mehr als 107’000 Infektionen und mehr als 3600 Todesfälle registriert. Dabei ist Italien das am schwersten von der Epidemie betroffene Land Europas.
Am Sonntag starb nun auch auf dem afrikanischen Kontinent der erste Mensch an den Folgen des Coronavirus: ein 60 Jahre alter deutscher Tourist im Badeort Hurghada am Roten Meer.
Rückläufige Neuinfektionen in China
In China, wo das neuartige Coronavirus im Dezember erstmals aufgetreten war, gab es derweil die Hoffnung auf ein Ende der drastischen Quarantäne-Massnahmen. Mit 44 Neuinfektionen war diese Zahl am Sonntag nach offiziellen Angaben erneut rückläufig. Mit 27 neuen Todesopfern – alle in Hubeis Provinzhauptstadt Wuhan – meldete das Land die geringste Opferzahl seit mehr als einem Monat. Insgesamt starben damit in der Volksrepublik China 3097 Infizierte.
Auch Südkorea verzeichnete einen Rückgang bei den Neuinfektionen; am Sonntag wurden dort 272 neu Infizierte registriert, deutlich weniger als die bisher täglich rund 500 neuen Fälle. Der Iran hingegen meldete am Sonntag einen Anstieg um 49 Todesfälle auf 194 innert 24 Stunden. Die Gesamtzahl der gemeldeten Infektionen lag bei 6566. Die nationale Fluggesellschaft Iran Air stoppte bis auf weiteres alle Flüge Richtung Europa. (awp/mc/ps)