Berlins Antwort auf Putins Aggression: Nord Stream 2 auf Eis
Moskau / Berlin – Nach der Aggression in der Ostukraine kann Russlands Präsident Wladimir Putin milliardenschwere Geschäfte mit der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 erst einmal abschreiben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stoppte am Dienstag das Genehmigungsverfahren für das Projekt. Die Europäische Union brachte harte Strafen gegen Russland auf den Weg, Grossbritannien verhängte Sanktionen gegen russische Geschäftsleute und Banken. Die US-Regierung wollte noch am Dienstag weitere Strafmassnahmen vorlegen.
Putin hatte am Montag die Unabhängigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkannt. Der Kremlchef ordnete eine Entsendung russischer Soldaten an. Er plant damit zum zweiten Mal nach 2014 einen Einmarsch in die Ukraine. Das Parlament in Moskau ratifizierte am Dienstag die Anerkennung.
Der Westen wirft ihm vor, damit gegen das Völkerrecht zu verstossen. Russland hat nach westlichen Angaben etwa 150’000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht trotz allem keine erhöhte Kriegsgefahr. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, wertete die Rede Putins am Montag als «Kriegserklärung».
Scholz: «Genehmigungsverfahren für wird sich nun hinziehen»
Scholz verurteilte in Berlin erneut die Entscheidung Putins. Das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 werde sich nun hinziehen, «wenn ich das mal vorhersagen darf», sagte er.
Die 1230 Kilometer lange Pipeline ist nach Angaben des russischen Gaskonzerns Gazprom im September 2021 fertiggestellt worden.
Die USA begrüssten den Schritt der Bundesregierung, wie Jen Psaki, Sprecherin von Präsident Joe Biden, auf Twitter schrieb : «Wir haben uns im Lauf der Nacht eng mit Deutschland abgestimmt.» Die US-Regierung werde noch am Dienstag Strafmassnahmen gegen Russland vorlegen.
Die Gasversorgung der Europäischen Union ist nach Einschätzung der EU-Kommission trotz des Konflikts vorerst sicher. Die Gasspeicher seien derzeit zu etwa 30 Prozent gefüllt.
Putin will trotz bevorstehender Sanktionen des Westens die Gaslieferungen ins Ausland nicht stoppen. «Russland beabsichtigt, die ununterbrochenen Lieferungen dieses Rohstoffs, einschliesslich des Flüssiggases, an die Weltmärkte fortzusetzen», sagte er in Moskau dem Kreml zufolge.
Treffen Lawrows mit Blinken soll stattfinden
Trotz der Eskalation will die Führung in Moskau am Treffen ihres Aussenministers Sergej Lawrow mit seinem US-Kollegen Antony Blinken an diesem Donnerstag in Genf festhalten. Die Sprecherin des Aussenministeriums, Maria Sacharowa, sagte: «Wir haben sogar in den schlimmsten Momenten immer gesagt, dass wir zum Verhandlungsprozess bereit sind.»
Die EU-Kommission schlug weitreichende Sanktionen vor. Ein den Mitgliedstaaten präsentierter Entwurf sieht nach dpa-Informationen vor, den Handel mit russischen Staatsanleihen zu verbieten. Zudem sollen mehrere Hundert Personen und Unternehmen auf die EU-Sanktionsliste kommen. Darunter wären nach Angaben von Diplomaten rund 350 Abgeordnete des russischen Parlaments, die für die Anerkennung gestimmt haben, aber auch Banken, die in der Ostukraine Geschäfte machen.
London friert Vermögen ein
Grossbritanniens Premierminister Boris Johnson kündigte in London an, fünf russische Banken sowie drei wohlhabende russische Staatsbürger mit Sanktionen zu belegen. Deren Vermögen in Grossbritannien werde eingefroren und Reisen nach Grossbritannien unterbunden.
Bei den Personen handelt es sich um Gennadi Timtschenko sowie die Brüder Boris und Igor Rotenberg. Alle drei gelten als enge Verbündete Putins.
Nach der Anerkennung der Separatistenregionen Donezk und Luhansk herrscht weiter Unklarheit, wo die Grenzen der nun aus Moskauer Sicht «unabhängigen Staaten» verlaufen. Der Kreml legte sich am Dienstag nicht konkret fest. Donezk und Luhansk seien anerkannt «innerhalb der Grenzen, in denen sie ausgerufen wurden», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge.
Im Konfliktgebiet sind bisher nach Angaben aus Moskau und der Separatisten in Donezk keine russischen Soldaten. «Wir wollen uns auf unsere eigenen Kräfte verlassen», sagte der Chef der selbst ernannten Volksrepublik Donezk, Denis Puschilin, im russischen Staatsfernsehen.
Nach UN-Schätzungen gab es in dem seit acht Jahren währenden Konflikt zwischen der ukrainischen Armee und den Separatisten bisher mehr als 14’000 Tote.
Putin: «Will kein Imperium errichten»
Putin wies Vorwürfe zurück, er wolle ein neues Imperium errichten. «Das entspricht absolut nicht der Wirklichkeit», sagte er am Dienstag im Kreml. Moskau habe die «Spekulationen» zu dem Thema gesehen, «dass Russland das Reich in den imperialen Grenzen wiedererrichten» wolle. Im Westen gibt es seit langem Vorwürfe, Putin wolle aus einem Phantomschmerz der verlorenen Grossmacht heraus ein neues Imperium wie zu Sowjet- oder zu Zarenzeiten schaffen. (awp/mc/ps)