Berlin / Kiew – Trotz Meinungsverschiedenheiten in der deutschen Koalition haben sich die Ampel-Fraktionen im Bundestag nahezu geschlossen gegen eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine gestellt. Ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der die Bundesregierung ausdrücklich zur Belieferung des von Russland angegriffenen Landes auffordert, wurde am Mittwochabend mit grosser Mehrheit abgelehnt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte beim Weltwirtschaftsforum in Davos derweil einmal mehr vor einem Ausbleiben weiterer westlicher Hilfen für sein Land. Die Frage nach künftigen US-Hilfen für die Ukraine bleibt aber auch nach einem Treffen von US-Präsident Joe Biden mit den Spitzen beider Parteien aus dem Kongress offen.
Uneinigkeit in Koalition über Taurus-Lieferungen
Abgeordnete von Grünen und FDP drängen in der Koalition eigentlich auf eine Taurus-Lieferung an die Ukraine. Ihr Abstimmungsverhalten begründeten sie jedoch damit, dass der Antrag der Union mit einer Plenardebatte über den Jahresbericht der Wehrbeauftragten verknüpft wurde. So kritisierte etwa die FDP-Wehrexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann in einer schriftlichen Erklärung, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt: «Es ist geradezu unanständig, einen heute zu beratenden Bericht der Wehrbeauftragten, der sich ausschliesslich auf die Belange der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bezieht, mit der Debatte über die zukünftige Unterstützung der Ukraine zu vermischen.»
Der Taurus ist einer der modernsten Flugkörper der Luftwaffe und kann Ziele wie eine Bunkeranlage auch aus grosser Höhe und Entfernung zerstören. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Anfang Oktober jedoch entschieden, diese Waffe vorerst nicht an die Ukraine zu liefern. Dahinter steckte die Befürchtung, dass wegen der Reichweite von 500 Kilometern auch russisches Territorium getroffen werden könnte. Bei Grünen und FDP gibt es allerdings erheblichen Widerstand gegen die Haltung des Kanzlers.
Selenskyj: Ausbleibende Ukraine-Hilfen bedeuten Krise für Europa
Selenskyj warnte derweil vor einer weiteren Verzögerung westlicher Hilfen. «Es wird eine grosse Krise für ganz Europa geben», sagte er vor Journalisten beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Schweiz). Die Ukraine werde zwar weiterkämpfen – doch ohne Hilfsgelder könne Russland in der Lage sein, die Ukraine zu erobern. «Und sobald sie uns erobert haben, glauben Sie mir, wird das ein Krieg zwischen Nato und Russland», führte Selenskyj aus.
Nach fast zwei Jahren russischen Angriffskriegs steckt die Gewährung neuer Ukraine-Milliardenhilfen vom wichtigsten Unterstützer USA momentan wegen eines innenpolitischen Streits fest. Auch die EU konnte ein eigentlich geplantes Ukraine-Hilfsprogramm in Höhe von 50 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre wegen eines ungarischen Vetos bislang nicht freigeben.
Nach einem Treffen von US-Präsident Biden mit den Spitzen beider Parteien aus dem Kongress bleibt die Frage nach künftigen US-Hilfen für die Ukraine aber offen – doch das Weisse Haus gibt sich optimistisch. Biden sei durch die Fortschritte bei den Verhandlungen ermutigt und strebe eine parteiübergreifende Einigung an, hiess es am Mittwochabend (Ortszeit) in einer Mitteilung. Die Republikaner haben die Freigabe weiterer Mittel für die Ukraine an eine Verschärfung der Asylpolitik in den USA geknüpft.
Das Weisse Haus hatte Mitte Dezember erklärt, dass bis zum Ende des vergangenen Jahres die bisher bewilligten Mittel aufgebraucht sein würden. Die bisher letzte Bereitstellung von Militärhilfen für die Ukraine erfolgte am 27. Dezember. Biden hatte bereits Ende Oktober beim US-Kongress ein 105 Milliarden US-Dollar (gut 94 Milliarden Euro) schweres Hilfspaket mit Unterstützung für die Ukraine und Israel beantragt. Davon sind mehr als 61 Milliarden US-Dollar für die von Russland angegriffene Ukraine vorgesehen.
Die USA gelten als wichtigster Verbündeter der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 haben die USA militärische Hilfe in Höhe von mehr als 44 Milliarden US-Dollar für Kiew bereitgestellt oder zugesagt.
Russland meldet ukrainische Angriffe
Russlands Verteidigungsministerium meldete am Abend einen ukrainischen Angriff auf das westliche Gebiet Brjansk, der abgewehrt worden sei. Zwei Raketen und drei Drohnen seien von der Luftverteidigung abgefangen worden, hiess es. Schäden und Opfer gab es in der unweit der Ukraine gelegenen Region laut Behörden keine.
Darüber hinaus wurde laut Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin ein Drohnenangriff auf den Stadtbezirk Podolsk abgewehrt. Nach vorläufigen Angaben gab es keine Verletzten oder Schäden. Eine weitere Drohne wurde laut russischem Verteidigungsministerium im Gebiet Leningrad abgefangen. Für das Umland von St. Petersburg wird in Russland immer noch der sowjetische Name Leningrad verwendet.
Was am Donnerstag wichtig wird
Unter anderem vor dem Hintergrund der Kämpfe in der Ukraine endet an diesem Donnerstag in Brüssel eine zweitägige Sitzung des Nato-Militärausschusses. (awp/mc/ps)