Deutsche Wirtschaft erhöht trotz Handelskonflikten die Drehzahl
Wiesbaden – Die Exportnation Deutschland hilft sich selbst: Angetrieben von der Konsumlust der Verbraucher im Inland hat der Konjunkturaufschwung im zweiten Quartal trotz internationaler Handelskonflikte an Tempo gewonnen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte gegenüber den ersten drei Monaten 2018 um 0,5 Prozent zu, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag in Wiesbaden anhand erster Daten mitteilte. Das war etwas mehr als von Ökonomen erwartet. «Der Konjunkturboom in Deutschland ist ein Phänomen: Die Konflikte um uns herum nehmen zu, aber das Geschäft trotzdem nicht ab», analysierte Holger Bingmann, Präsident des Aussenhandelsverbandes BGA.
Zum Jahresanfang war die Wirtschaft laut jüngsten Zahlen um 0,4 Prozent gewachsen und damit etwas stärker als zunächst berechnet. Experten gehen davon aus, dass sich der Aufschwung in diesem Jahr fortsetzt. Die Handelskonflikte, die vor allem von den USA angeheizt werden, sehen sie allerdings mit Sorge.
Getragen wurde das Wachstum in Europas grösster Volkswirtschaft von April bis Juni vor allem von der anhaltenden Konsumfreude der Verbraucher. Die historisch gute Lage auf dem Arbeitsmarkt und Lohnzuwächse sorgen für gute Stimmung. Die Bürger rechnen nach Angaben der GfK -Konsumforscher weiter mit höheren Einkommen und sind dementsprechend bereit, Geld für grössere Anschaffungen auszugeben.
Die Konsumausgaben des Staates, zu denen unter anderem soziale Sachleistungen und Gehälter der Mitarbeiter zählen, stiegen den Angaben zufolge im Frühjahr ebenfalls. Auch der Bauboom und die Investitionen der Unternehmen in Ausrüstungen wie beispielsweise Maschinen trugen zum Wachstum bei. Vom Aussenhandel kamen dagegen keine Impulse, weil die Importe stärker stiegen als die Exporte. Im Jahresvergleich stieg das BIP preisbereinigt um 2,3 Prozent.
Deutschland wächst kräftiger als der Euroraum
Europas Konjunkturlokomotive legte kräftiger zu als der Euroraum insgesamt. Die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsgebiet wuchs gegenüber dem Jahresauftakt nach Angaben des Statistikamtes Eurostat um 0,4 Prozent – etwas stärker als zunächst geschätzt.
Die deutsche Wirtschaft bleibt nach Einschätzung von Ökonomen im Gesamtjahr auf Kurs. Strafzölle und Handelsbarrieren könnten die exportorientierte Konjunktur allerdings empfindlich treffen. Das Bundeswirtschaftsministerium wies darauf hin, dass die weltweit erhöhte Unsicherheit aktuell bereits die Nachfrage nach deutschen Produkten im Ausland beeinträchtige.
«Der Aufschwung ist in einer Welt zunehmender Risiken kein Selbstläufer mehr», erklärte KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner. Der Handelsstreit zwischen den USA und der EU schwele weiter. Hinzu kämen weitere Faktoren: «Ein ungeordneter Brexit ist genauso wenig auszuschliessen wie ein harter Konfrontationskurs Italiens gegenüber der EU.»
ING -Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski sprach von einer «eindrucksvollen» Wachstumsleistung. Jedoch dürften die Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft eher grösser als kleiner werden: «Die jüngsten Ereignisse in der Türkei zeigen, dass es unwahrscheinlich ist, dass geopolitische Risiken verschwinden.»
Bankökonomen und Wirtschaftsforschungsinstitute hatten zuletzt ihre Konjunkturprognosen für das Gesamtjahr gesenkt – teilweise auf knapp unter 2 Prozent. Im vergangenen Jahr hatte die deutsche Wirtschaft um 2,2 Prozent zugelegt, es war das stärkste Plus seit sechs Jahren. Eine Zwei vor dem Komma sei für dieses Jahr weiter in Reichweite, erklärten Allianz-Ökonomen. «Allerdings dürfen dafür keine grösseren protektionistischen Störfeuer mehr auftreten.» (awp/mc/ps)