Wiesbaden – Bauboom, Exportboom, Verbraucher in Kauflaune und steigende Unternehmensinvestitionen: Die deutsche Wirtschaft hat ihre Drehzahl zum Jahresbeginn erhöht und nimmt Ökonomen zufolge Kurs auf eine der längsten Wachstumsperioden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal 2017 um 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Die Wiesbadener Behörde bestätigte damit am Dienstag eine erste Schätzung. Ende 2016 hatte Europas grösste Volkswirtschaft moderater um 0,4 Prozent zugelegt.
«Die deutsche Wirtschaft wird zum Langstreckenläufer», analysierte KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner. «Sie hält ihr Tempo mit beeindruckender Ausdauer und nimmt Kurs auf eine der längsten Wachstumsperioden des letzten halben Jahrhunderts.» Auch ING Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski sieht derzeit keine Anzeichen für ein plötzliches Ende des Aufschwungs, der mittlerweile ins neunte Jahr gehe. «Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wirkt wie eine nicht endende Erfolgsgeschichte.»
Die in der Vergangenheit durch politische Unsicherheiten im Euroraum verunsicherten Unternehmen investierten im ersten Quartal erstmals seit längerem wieder mehr in Maschinen und andere Ausrüstungen (plus 1,2 Prozent). Der ohnehin schon boomende Bau profitierte von der vergleichsweise milden Witterung. Die Investitionen stiegen nach Angaben der Statistiker gegenüber dem Vorquartal um 2,3 Prozent.
Verbraucher weiterhin in Konsumstimmung
Die Verbraucher waren trotz der zum Jahresanfang gestiegenen Inflation weiterhin in Konsumstimmung. Sparen wirft wegen der Zinsflaute kaum noch etwas ab und die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist historisch günstig. Das heizt die Kauflaune an. Auch die Ausgaben des Staates unter anderem für die Unterbringung Hunderttausender Flüchtlinge trugen zum Wachstum bei.
Positive Impulse kamen den Angaben zufolge zudem vom Aussenhandel – die Ausfuhren stiegen stärker als die Importe. Deutschlands Exportunternehmen profitierten von der Erholung der Weltwirtschaft und dem schwächeren Euro, das treibt die Nachfrage nach «Made in Germany» an.
Bei Handelspartnern insbesondere bei der US-Regierung unter Donald Trump sorgt Deutschlands Exportstärke allerdings für Ärger. Auch die EU-Kommission mahnte, Deutschland solle die heimische Nachfrage ankurbeln und so den Exportdruck auf andere Länder senken. Die Bundesrepublik produziert mehr als sie verbraucht, viele Waren und Dienstleistungen werden ausgeführt.
Zum Vorjahr stieg das BIP um 2,9 Prozent. Dabei spielte allerdings auch die Lage der Feiertage eine Rolle. Ohne diesen Effekt betrug das Plus 1,7 Prozent. Erbracht wurde die Wirtschaftsleistung von 43,7 Millionen Erwerbstätigen, das waren 638 000 mehr als ein Jahr zuvor.
Nach Einschätzung der Bundesbank kann die Konjunktur ihr hohes Tempo vorerst halten. «Das kräftige Wachstum der deutschen Wirtschaft wird sich im Frühjahr 2017 wohl fortsetzen», heisst im jüngsten Monatsbericht der Notenbank. Die Industrie werde weiter von der regen Nachfrage aus dem In- und Ausland profitieren. Positive Impulse dürften auch vom Privatkonsum und dem Bausektor kommen.
1,5% Wachstum im Gesamtjahr erwartet
Im Gesamtjahr rechnen führende Wirtschaftsforschungsinstitute und die Bundesregierung mit einem Wachstum von 1,5 Prozent. Manche Ökonomen trauen der deutschen Wirtschaft noch etwas mehr zu. Unsicherheit stiften allerdings weiterhin die unklaren Bedingungen des EU-Austritts Grossbritanniens (Brexit) und die US-Handelspolitik.
Im vergangenen Jahr stieg die Wirtschaftsleistung um 1,9 Prozent, allerdings gab es wegen der Lage der Feiertage auch mehr Arbeitstage. (awp/mc/upd/ps)