Wiesbaden – Die deutsche Wirtschaft ist im Sommer unerwartet gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im dritten Quartal um 0,2 Prozent gemessen am Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilt. Ökonomen hatten mit einem neuerlichen Rückgang gerechnet. Die Statistiker teilten mit, im dritten Quartal seien vor allem staatliche und private Konsumausgaben gestiegen.
Im zweiten Quartal war die grösste Volkswirtschaft Europas leicht geschrumpft. Viele Volkswirte hatten erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt das zweite Quartal in Folge schrumpft und damit in eine «technische Rezession» abrutscht. Im zweiten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt nach neuesten Berechnungen um 0,3 Prozent zurückgegangen und damit etwas stärker als zunächst berichtet.
Nur ein Ausreisser nach oben?
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hält das Sommer-Plus für einen «Ausreisser nach oben». Er sagt: «Die seit dem Frühjahr fallenden Frühindikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima deuten unverändert auf ein schwieriges Winterhalbjahr. Danach dürfte es wegen der Hiobsbotschaften aus der wichtigen Autoindustrie und der jahrelangen Erosion der Standortqualität nur zögerlich nach oben gehen.»
Die Unsicherheit über die Krise der deutschen Wirtschaft hat sich längst bei Unternehmen und Verbrauchern breitgemacht. Während sich viele Firmen mit Investitionen zurückhalten, halten Verbraucher ihr Geld trotz steigender Löhne zusammen. Schlüsselbranchen wie die deutsche Autoindustrie stehen unter grossem Druck.
Bundesbank: Rezession, aber kein Wirtschaftseinbruch
Nach Einschätzung der Bundesbank dürfte sich die Schwächephase fortsetzen. Die deutsche Wirtschaft dürfte im Schlussquartal «in etwa stagnieren», schrieb die Notenbank in ihrem Monatsbericht Oktober. Die Bundesbank machte aber zugleich deutlich, dass sie für die deutsche Wirtschaft im Gesamtjahr keine Rezession «im Sinne eines deutlichen, breit angelegten und länger anhaltenden Rückgangs der Wirtschaftsleistung» erwartet. Vielmehr steckt die Konjunktur «nach wie vor in der seit Mitte 2022 anhaltenden Schwächephase fest».
Auch die Bundesregierung ist bislang eher pessimistisch: Sie erwartet in ihrem Herbstgutachten, dass das Bruttoinlandsprodukt im Gesamtjahr um 0,2 Prozent schrumpfen wird. Es wäre das zweite Jahr mit einer Rezession in Folge nach 2023, als die deutsche Wirtschaftsleistung ebenfalls leicht gesunken war. Erst 2025 soll die Wirtschaft nach Prognose der Bundesregierung wieder um 1,1 Prozent wachsen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist weniger zuversichtlich: Er rechnet nur mit einem Plus von 0,8 Prozent im kommenden Jahr.
Bundesregierung ringt um Impulse für Wirtschaft
Gegenwind für die deutsche Wirtschaft gibt es reichlich: Auf den Weltmärkten hat China als Wachstumstreiber an Schwung verloren, im Inland steigt die Zahl der Firmenpleiten. Während es in der Industrie an Aufträgen mangelt und sich die Exportaussichten eintrüben, sparten viele Verbraucher zumindest im ersten Halbjahr noch mehr als ein Jahr zuvor. So kommt der Konsum, lange die grösste Hoffnung für die Konjunktur, nicht recht in Schwung. Impulse für die deutsche Wirtschaft erwarten Ökonomen von den sinkenden Leitzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB). Doch bis diese in der Realwirtschaft ankommen, vergeht Zeit.
Ausserdem schwächen strukturelle Faktoren wie die gestiegenen Energiepreise und die Bürokratie den Standort Deutschland. Die Bundesregierung ringt um Lösungen für die Konjunktur, doch in der Ampel-Koalition fehlt es an Einigkeit. Kanzler Olaf Scholz stellte nach einem Gipfeltreffen mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften einen «Pakt für die Industrie» in Aussicht. (awp/mc/pg)