Berlin: Regierung beschliesst Atomausstieg bis 2022
Das AKW Neckarwestheim II wird zusammen mit Isar II und Emsland 2022 als letztes abgeschaltet.
Berlin – Als Konsequenz aus der Reaktorkatastrophe in Fukushima hat das Bundeskabinett das Aus für acht Kernkraftwerke und den stufenweisen Atomausstieg bis 2022 beschlossen. In einer Sondersitzung votierten die Regierungsmitglieder am Montag für eine entsprechende Neufassung des Atomgesetzes.
Zudem wurden mehrere Gesetze verabschiedet, mit denen der Netzausbau vorangetrieben und bis 2020 ein Ökostromanteil von 35 Prozent erreicht werden soll. Die Fördermittel für energiesparende Gebäudesanierungen hob das Kabinett auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ab 2012 an.
«Stand By»-AKW
Eines der acht bereits abgeschalteten und nun dauerhaft stillzulegenden AKW soll möglicherweise bis 2013 noch in Bereitschaft gehalten werden für den Fall von Stromengpässen im Winter. Ob ein solches «Stand By»-AKW nötig ist, soll die Bundesnetzagentur in den nächsten Wochen entscheiden. Nach den sofort stillzulegenden AKW sollen die verbleibenden neun noch Strom produzieren Meiler nach folgendem Zeitplan vom Netz gehen: 2015 Grafenrheinfeld (Bayern), 2017 Gundremmingen B (Bayern) und 2019 Philippsburg II (Baden-Württemberg), 2021 Grohnde (Niedersachsen), Brokdorf (Schleswig-Holstein) und Gundremmingen C (Bayern). Als letzte Kernkraftwerke würden 2022 Isar II (Bayern), Neckarwestheim II (Baden-Württemberg) und Emsland (Niedersachsen) abgeschaltet werden.
Reststrommengen auf laufende Anlagen übertragen
Die AKW-Betreiber können Reststrommengen von stillgelegten Meilern auf die noch laufenden Anlagen übertragen. Damit diese nicht alle bis 2021/2022 laufen, hatten die 16 Bundesländer sowie SPD und Grüne eine solche stufenweise Abschaltung gefordert, auf die Regierung am Freitag bei einem Treffen mit den Ministerpräsidenten einging. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich nach dem Super-GAU in Fukushima, der durch ein Erdbeben und einen anschliessenden Tsunami ausgelöst worden war, zu einer Kehrtwende in der Atompolitik entschlossen. Noch im Herbst 2010 hatten Union und FDP die Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert, der letzte Meiler wäre demnach nicht vor 2036 vom Netz gegangen.
Rasch in Kraft treten
Bereits bis 8. Juli soll das geänderte Atomgesetz Bundestag und Bundesrat passiert haben, um rasch in Kraft treten zu können. Die SPD signalisierte Zustimmung zum neuen Atomgesetz. «Ein Konsens über den Atomausstieg in Deutschland ist möglich», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, im ARD-«Morgenmagazin». «Wir können uns vorstellen, dem Atomgesetz zuzustimmen, wenn es ein schneller, unumkehrbarer Ausstieg wird, wenn die Leute endlich wissen, woran sie sind, und dieser Ausstieg dann auch gilt – und zwar auf Dauer.» Die Grünen warten hingegen noch ab und wollen notfalls einen Sonderparteitag am 25. Juni entscheiden lassen. Umweltverbände kritisieren, der Ausstieg sei nicht ambitioniert genug. Greenpeace fordert ihn bis 2015. Mit Lichtprojektionen an allen neun noch laufenden AKW in Deutschland demonstrierten Greenpeace-Mitglieder am Montagmorgen gegen die Atompolitik der Bundesregierung.
Energiekonzerne haben juristische Zweifel
Die Energiekonzerne zweifeln, ob die geplante stufenweise Abschaltung der neun verbleibenden Kernkraftwerke juristisch wasserdicht ist. Durch die Verkürzung der Laufzeiten werde «ein Verstromen der Altmengen beinahe unmöglich», erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus dem Umfeld eines Energiekonzerns. Dabei geht es darum, ob bis zum jeweiligen Abschaltdatum die bereits früher zugestandenen Strommengen produziert werden können. Dürfen die Konzerne vertraglich zugesicherte Strommengen nicht mehr produzieren, könnte dies als Eingriff in ihre Eigentumsrechte gewertet werden – dem Staat könnten hohe Entschädigungsforderungen drohen. Mit Blick darauf lassen Konzerne nach dpa-Informationen bereits Juristen Vermögensschäden prüfen. Die Regierung hält die Art und Weise des Atomausstiegs jedoch für rechtssicher.
Eon bleibt beim Atomausstieg auf Klage- und Entschädigungskurs
Der Energiekonzern Eon bleibt nach dem Kabinettsbeschluss zum Atomausstieg auf Klagekurs gegen die Brennelementesteuer. Weitere juristische Schritte sind derzeit nicht vorgesehen. «Wir klagen nicht gegen das Moratorium, auch nicht rückwirkend», sagte Sprecher Carsten Thomsen-Bendixen am Montag der dpa. Eon werde aber die Vermögensverluste zusammenrechnen und der Bundesregierung vorlegen. «Darüber wollen wir dann reden.» Eon erwartet durch die neuen Atomregelungen Einbussen in Milliardenhöhe. Der Essener RWE-Konzern wollte sich nach dem Kabinettsentscheid nicht weiter äussern. Es bleibe bei der Sprachregelung der vergangenen Woche. RWE behalte sich alle juristischen Schritte vor. (awp/mc/ss/upd/ps)