Ifo-Geschäftsklima trübt sich wegen Energiesorgen ein
München – Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich im Juni aus Sorge über die Energieversorgung spürbar eingetrübt. Das Ifo-Geschäftsklima fiel im Monatsvergleich um 0,7 Punkte auf 92,3 Zähler, wie das Ifo-Institut am Freitag in München mitteilte. Analysten hatten zwar mit einer Eintrübung gerechnet, allerdings nur mit einer leichten auf 92,8 Punkte.
«Steigende Energiepreise und die drohende Gasknappheit bereitet der deutschen Wirtschaft grosse Sorgen», kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Am Donnerstag hatte die Bundesregierung die Alarmstufe im Notfallplan Gas ausgerufen. Grund ist eine starke Verringerung der Gaslieferungen durch Russland. Ökonomen warnen vor erheblichen Folgen für die deutsche Wirtschaft, sollten die russischen Gaslieferungen komplett ausfallen.
Trüb fiel die Stimmung in der Industrie und im Handel aus. «Insbesondere die chemische Industrie ist höchst beunruhigt», erklärte Fuest. In der Chemie hat die Verwendung von Gas eine hohe Bedeutung. Auch Gross- und Einzelhändler blickten «äusserst sorgenvoll» auf die kommenden Monate. Die Dienstleister und das Baugewerbe waren dagegen etwas zuversichtlicher. «Das Gastgewerbe erlebt einen guten Sommer.»
«Moderate» Stimmungseintrübung
Bankvolkswirte werteten die Stimmungseintrübung angesichts der wirtschaftlichen Probleme als moderat. «Angesichts einer gefährdeten Energieversorgung, rekordhoher Inflationsraten und zerrütteter Produktionsketten ist es erstaunlich, dass sich die Stimmung in den Unternehmen auf diesem Niveau hält», erklärte Ulrich Kater, Chefökonom der Dekabank. «Die verschlechterten Erwartungen zeigen ganz klar, dass für die Firmen die wesentliche Herausforderung in der Energieversorgung im kommenden Winter besteht.» Insgesamt sei für die deutsche Volkswirtschaft in diesem Jahr wohl nicht mehr drin als eine Stagnation.
Pessimistisch äusserte sich auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. «Tatsächlich ist die konjunkturelle Situation labil.» Zum einen könnte es nach einer weiteren Reduzierung der russischen Gaslieferungen zu einer folgenschweren Rationierung von Gas in der Industrie kommen. Zum anderen dürften die massiven Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed im kommenden Jahr eine Rezession auslösen. Daher habe die Commerzbank ihre Wachstumsprognose für Deutschland im kommenden Jahr von 2,5 auf 1,0 Prozent reduziert. Für dieses Jahr rechnen die Commerzbank-Volkswirte unverändert mit 1,5 Prozent Wachstum.
Jörg Zeuner, Chefökonom Union Investment, schreibt: «Noch profitieren Industrie und vor allem der Dienstleistungssektor von einer starken Nachfrage und dem gesunden Arbeitsmarkt. Doch dieser Schub verliert an Kraft, je länger die Inflation hoch bleibt und je mehr die Nachfrage etwa im Gast- und im Tourismusgewerbe gestillt wird.»
VP Bank-Chefökonom Thomas Gitzel hält fest, die hohen Inflationsraten entwickelten sich zur handfesten wirtschaftlichen Bedrohung. «Die deutsche Wirtschaft steht vor grossen Herausforderungen. Rezessionsgefahren sind nicht von der Hand zu weisen», so Gitzel. (awp/mc/pg)