Seehofer will zurücktreten – oder doch nicht?

Seehofer will zurücktreten – oder doch nicht?
Deutschlands Innenminister Horst Seehofer.

München – CSU-Chef Horst Seehofer legt sein politisches Schicksal in die Hände der CDU: In einem Spitzengespräch will der Bundesinnenminister die Schwesterpartei an diesem Montag zum Einlenken im dramatischen Asylstreit bewegen. Erst danach will er endgültig über seinen zuvor angekündigten Rücktritt von beiden Ämtern entscheiden. Die engste Parteiführung hatte ihn gebeten, nicht zurückzutreten.

Wie die dpa erfuhr, soll es an diesem Montag um 17 Uhr zu einem Spitzentreffen von CDU und CSU kommen. Der CDU-Parteivorstand hatte sich am Sonntag klar hinter Kanzlerin Angela Merkel gestellt. Das Treffen ist die letzte Gelegenheit, im seit Wochen erbittert geführten Asylstreit doch noch eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Sollte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht auf die Forderungen der CSU eingehen und Seehofer eine Jobgarantie erteilen, will der fast 69-Jährige von seinen politischen Ämtern zurücktreten.

«Ich habe ja gesagt, dass ich beide Ämter zur Verfügung stelle, dass ich das in den nächsten drei Tagen vollziehe», sagte Seehofer am frühen Montagmorgen in München. Das Gespräch mit der CDU sei ein «Zwischenschritt», geführt «in der Hoffnung, dass wir uns verständigen». «Alles Weitere» werde anschliessend entschieden.

«Wir wollen im Interesse dieses Landes und der Handlungsfähigkeit unserer Koalition und Regierung – die wir erhalten wollen – einen Einigungsversuch machen in dieser zentralen Frage zur Zurückweisung, alleine zu dieser Frage», betonte Seehofer. Er hoffe, dass dies gelinge, das Gesprächsangebot sei ein Entgegenkommen von ihm an die Kanzlerin und die CDU. «Sonst wäre das heute endgültig gewesen.»

Kern des Unions-Streits sind Pläne Seehofers, in anderen EU-Ländern registrierte Asylbewerber notfalls im Alleingang an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Merkel lehnt einseitige Aktionen ab und pocht auf ein europäisch abgestimmtes Vorgehen.

Seehofer: Drei Optionen
Seehofer hatte zuvor nach fast achtstündigen Beratungen vor seinen Parteikollegen gesagt, es gebe drei Optionen: Entweder die CSU beuge sich dem Kurs Merkels in der Asylpolitik. Oder er ordne als Innenminister Zurückweisungen bestimmter Migranten an der deutschen Grenzen an – mit allen Gefahren für den Fortbestand der Koalition. Die dritte Option sei, dass er als Parteichef und Minister zurücktrete – und das habe er auch vor zu tun. Er werde am kommenden Mittwoch 69 Jahre alt, und habe viel erreicht. Seehofer ist erst seit rund 100 Tagen Minister in der neuen grossen Koalition, seit 2008 ist er CSU-Chef.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt widersprach in der Sitzung umgehend. «Das ist eine Entscheidung, die ich so nicht akzeptieren kann», sagte er und erhielt dafür nach Teilnehmerangaben lang anhaltenden Applaus. Die Sitzung wurde unterbrochen, die engste Parteispitze zog sich mit Seehofer zu Beratungen zurück. Der CSU-Vorstand hatte seit dem Nachmittag über den Asylstreit mit der CDU diskutiert. Dabei hatten Seehofer und seine Parteifreunde sich mehrheitlich gegen die Linie der Kanzlerin gewandt.

Beim Gipfel in Brüssel hatte sich die EU auf weitere Verschärfungen der Migrationspolitik verständigt. So sollen Bootsflüchtlinge in zentralen Sammellagern in der EU untergebracht werden. Merkel erhielt nach eigenen Angaben zudem Zusagen mehrerer Länder, über schnellere Rückführungen von Migranten zu verhandeln. Ausserdem wurden am Samstag überraschend weitgehende zusätzliche Asyl-Vorschläge Merkels bekannt.

Seehofer nannte die EU-Beschlüsse kein «wirkungsgleiches Surrogat» (keinen gleichwertigen Ersatz). Er widersprach damit direkt Merkel. Die Kanzlerin hatte bei der Aufzeichnung eines Sommerinterviews der ZDF-Sendung «Berlin direkt» zur Frage, ob die Forderungen der CSU erfüllt seien, gesagt: «In der Summe all dessen, was wir insgesamt beschlossen haben, ist das wirkungsgleich. Das ist meine persönliche Auffassung. Die CSU muss das natürlich für sich entscheiden.»

Einen davon lehnte Seehofer nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Teilnehmer in der CSU-Sitzung ebenfalls ab. Merkel hatte angeregt, anderswo in der EU registrierte Flüchtlinge in den geplanten «Ankerzentren» in Deutschland unterzubringen. Sie sollen dort ein beschleunigtes Verfahren durchlaufen und sich nicht entfernen. Die Abkürzung steht für: Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung beziehungsweise Rückführung (AnKER).

Bei der CDU kamen die Spitzengremien in Berlin zusammen, während die CSU-Sitzung noch lief. Der Vorstand unterstützte Merkel mit einem Beschluss, der bei einer Enthaltung angenommen wurde. «Einseitige Zurückweisungen wären unserer Ansicht nach das falsche Signal an unsere europäischen Gesprächspartner», sagte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die von Merkel getroffenen Vereinbarungen und Abkommen böten eine gute Grundlage zur wirksamen Eindämmung des Weiterreisens von Asylbewerbern zwischen den EU-Staaten.

Merkel: Sehr ernste Situation
Merkel sprach nach dpa-Informationen aus Teilnehmerkreisen in der Sitzung von einer «sehr ernsten» Situation und unterstrich den Wert der Unions-Fraktionsgemeinschaft. Sie warnte vor einer Schwächung ihrer EU-Verhandlungsposition, wenn Deutschland einseitig nationale Massnahmen verhängen würde. Der von Seehofer erstellte «Masterplan Migration» lag dem CDU-Vorstand nicht vor. In der CSU-Sitzung in München hatte er das 63-Punkte-Papier zuvor verteilen lassen.

CDU-Bundesvize Volker Bouffier mahnte vor den Sitzungen zur Besonnenheit. Entscheidend sei, «dass die Union beieinander bleibt». Das sei Grundlage für eine stabile Regierung, ohne die man deutsche Interessen nicht vertreten könne. «Ich denke und hoffe, dass das alle so sehen.» Der hessische Ministerpräsident betonte: «Es kann ja nicht im Ernst darum gehen, ob etwas mehr oder weniger wirkungsgleich ist.» Schleswig Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) forderte ein Ende des Streits. «Wir halten diese Republik seit zwei Wochen mit einem unionsinternen Streit in Atem. Wir müssen jetzt endlich mal in die Zukunft gucken», sagte er in der ARD-Sendung «Anne Will».

Merkel hatte zuvor im ZDF betont, sie werde alles daran setzen, dass es sowohl bei CDU als auch CSU Ergebnisse gebe, «bei denen wir Verantwortung für unser Land wahrnehmen können». Sie wolle, dass CDU und CSU gemeinsam weiter arbeiten können. Die Kanzlerin ging nicht auf die Frage ein, ob sie Seehofer notfalls als Minister entlassen würde – dies würde das Ende der Koalition bedeuten. Sie liess auch offen, ob sie eine Vertrauensfrage im Bundestag stellen würde.

Die SPD als dritter Koalitionspartner kritisierte den Unionskonflikt. «Dass da keine pragmatischen Kompromisse möglich wären, das versteht überhaupt niemand», sagte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) in der ARD. Der «selbstvergessene» Streit sei «eigentlich nicht das, was man sich unter ordentlichem Regieren vorstellt.» In einem eigenen Papier, das der Vorstand an diesem Montag beschliessen soll, wirbt die SPD für eine «gesamteuropäische Lösung», ein «europäisches Asylsystem und solidarisch geteilte Verantwortung bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen». Alleingänge bei Zurückweisungen an der Grenze lehnt sie ebenfalls ab. (awp/mc/ps)

 

 

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