«Dieselgate» brockt Volkswagen grössten Verlust der Geschichte ein

«Dieselgate» brockt Volkswagen grössten Verlust der Geschichte ein
Matthias Müller, ehemaliger VW-Vorstandschef.

VW-Vorstandschef Matthias Müller.

Wolfsburg – Der Abgas-Skandal hat VW den grössten Verlust der Konzerngeschichte eingebrockt. Unterm Strich rutschte Volkswagen mit minus 1,6 Milliarden Euro in die roten Zahlen, wie Europas grösster Autobauer am Freitag in Wolfsburg mitteilte. 2014 hatte noch ein Gewinn von knapp 11 Milliarden Euro in den Büchern gestanden. Rückstellungen für die Folgen der Diesel-Krise fressen das Ergebnis für 2015 komplett auf. Trotz der roten Zahlen stellen die VW-Vorstände ihren Anspruch auf Bonuszahlungen nur in Teilen zurück und müssen keinen endgültigen Verzicht in Kauf nehmen.

Zwar behalte der Konzern etwa 30 Prozent der variablen Vergütung der Vorstände ein. Das Geld werde aber in Aktien umgewandelt und geparkt, sagte der VW-Aufsichtsrat und niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Nach Ablauf von drei Jahren werde geprüft, wie sich der Aktienkurs entwickelt hat. Liege der um ein Viertel über dem jüngsten Niveau, werde das Geld ausbezahlt, liege er darüber, gebe es sogar entsprechend mehr Geld zurück.

Pötsch verzichtet auf 2,3 Mio Euro
Zumindest Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch spürt die Abgas-Krise direkt auf seinem Konto: Auf eigenen Wunsch verzichte er für das Geschäftsjahr 2015 auf 2,3 Millionen Euro. Unklar ist jedoch, wie hoch die Fallhöhe des ehemaligen Finanzvorstands ist. Laut einem Bericht des Magazins «Spiegel» soll er bei seinem Wechsel in den Aufsichtsrat im Oktober 2015 knapp 20 Millionen Euro zugesichert bekommen haben.

Der Abgas-Skandal lässt auch die Dividende erheblich einbrechen. Der Konzern will für jede seiner stimmrechtslosen Vorzugsaktion nur noch 0,17 Euro an seine Anteilseigner ausschütten. Vor einem Jahr war für 2014 noch der Rekordwert von 4,86 Euro geflossen. Für die stimmberechtigten VW-Stammaktien sollen entsprechend 0,11 Euro fliessen (zuvor: 4,80 Euro).

Bericht zur Schuldfrage verschoben
Ergebnisse der Suche nach Schuldigen im Abgas-Skandal veröffentlicht VW entgegen eigener Ankündigungen zunächst nicht. Als Gründe für die Entscheidung nannte Volkswagen sowohl mögliche finanzielle Risiken bei den drohenden Strafzahlungen in den USA als auch negative Effekte bei der Ermittlungsarbeit der amerikanischen Behörden. Der Konzern fürchtet ansonsten höhere Zahlungen wegen der Verstösse in den USA. VW peilt das Ende der internen Ermittlungen für das letzte Quartal 2016 an, wie Aufsichtsrat Wolfgang Porsche sagte.

Für die Folgen des Diesel-Skandals muss der Konzern in seiner Bilanz für 2015 rund 16,2 Milliarden Euro zurückstellen. Dazu kommen unter anderem jeweils 200 Millionen Euro für Umbauten in der Lastwagen- und Pkw-Sparte. Das operative Ergebnis sackte auf minus 4,1 Milliarden. Ohne die Kosten für die Abgas-Affäre wäre das Ergebnis leicht gestiegen. Der Umsatz von Europas grösstem Autobauer stieg um 5,4 Prozent auf gut 213 Milliarden Euro.

Immense weitere Risiken
Zuletzt hatte es im Jahr 1993 einen Jahresfehlbetrag gegeben, als sich VW ebenfalls in einer Krise befand: 1,94 Milliarden D-Mark, also umgerechnet rund eine Milliarde Euro. Weitere Verluste in den 1980er und 1970er Jahren waren weit geringer. Im Jahr 2014 hatte der Konzern unter dem Strich rund 11 Milliarden Euro verdient.

Volkswagen hatte mit einer illegalen Software Abgastests bei Dieselfahrzeugen manipuliert. Dabei ging es um Werte des gesundheitsschädlichen Stickoxids. Dies hatte den Konzern in eine schwere Krise gestürzt. Weltweit sind elf Millionen Fahrzeuge betroffen. VW drohen neben den hohen Rückstellungen in der Bilanz noch immense Risiken wegen Strafzahlungen und Klagen in Milliardenhöhe.

Streit mit dem Betriebsrat
Angesichts der tiefroten Zahlen drohen bei VW in den kommenden Wochen und Monaten heftige Auseinandersetzungen zwischen dem Management und den mächtigen Arbeitnehmervertretern. Bei der ertragsschwachen Kernmarke VW mit Modellen wie dem Golf und dem Passat will Markenchef Herbert Diess den Sparkurs verschärfen. Auf Initiative des Betriebsrats soll es aber nun Verhandlungen über feste Produkt-, Stückzahl- und Investitionszusagen für die nächsten Jahre geben.

Am Donnerstag erzielte VW Fortschritte in den USA, wo der Skandal vor sieben Monaten seinen Ursprung genommen hatte. VW einigte sich mit den US-Behörden auf die Grundzüge einer Lösung im Abgas-Skandal. VW hat nun die Chance, mit Behörden und Sammelklägern Vergleiche auszuhandeln.

Rückauf und Umrüstung in den USA
Die Lösung umfasst nach Angaben des zuständigen Richters in San Francisco die Option, dass VW einen Grossteil der Autos zurückkaufe oder durch Umrüstung in einen erlaubten Zustand versetze. Zudem werde der Hersteller «substanziellen Schadenersatz» an die Besitzer zahlen. Konkrete Zahlen hierzu wurden aber zunächst nicht genannt. Die laufenden strafrechtlichen Ermittlungen der US-Justiz und Verfahren von US-Staatsanwälten sind von der Einigung nicht betroffen.

Abgasskandal zieht auch VW-Dachgesellschaft Porsche SE ins Minus
Der Abgasskandal hat auch die VW -Dachgesellschaft Porsche SE in die Verlustzone gerissen. Wegen der roten Zahlen bei Volkswagen habe man 2015 einen Nachsteuerverlust von voraussichtlich 273 Millionen Euro gemacht, teilte die Beteiligungsgesellschaft am Freitag in Stuttgart mit. 2014 hatte es noch einen satten Gewinn von gut 3 Milliarden Euro gegeben. Die kompletten Zahlen für 2015 will das Unternehmen Ende kommender Woche vorstellen.

Die Porsche SE hält rund 51 Prozent an der Volkswagen AG. Der Sport- und Geländewagenbauer Porsche AG wiederum ist eine VW-Tochter. Die Struktur ist Ergebnis der Übernahmeschlacht zwischen VW und Porsche 2008/09. Damals war die Porsche SE deutlich tiefer in den roten Zahlen als jetzt – 2009 hatte das Stuttgarter Unternehmen wegen Wertberichtigungen einen Verlust von 3,6 Milliarden Euro hinnehmen müssen. (awp/mc/ps)

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