Druck auf Scholz in der Panzerfrage wächst – Polen will Antrag stellen
Kiew – Die internationale Sorge über das Zögern von Bundeskanzler Olaf Scholz in der Panzerfrage wird immer grösser. Mehrere EU-Staaten kritisierten die Bundesregierung beim Aussenministertreffen in Brüssel teils sehr deutlich. Polen kündigte an, Deutschland um eine Genehmigung für die Lieferung der in Deutschland hergestellten Kampfpanzer vom Typ Leopard an die Ukraine zu bitten – machte aber deutlich, notfalls auch ohne Erlaubnis in einer kleinen Koalition Leopard-2-Panzer liefern zu wollen.
«Wenn die Deutschen nicht in dieser Koalition sind, werden wir trotzdem unsere Panzer zusammen mit anderen in die Ukraine verlegen», sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki am Montag in Posen.
Ja? Nein? Baerbock: Es braucht eine Entscheidung
Um in Deutschland hergestellte Panzer an andere Länder zu liefern, ist die Genehmigung der Bundesregierung erforderlich. Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wich bei einem EU-Aussenminister-Treffen der Frage aus, ob die Bundesregierung einen Antrag auf die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern aus anderen Ländern an die Ukraine schnell bewilligen würde. Sie begründete in Brüssel am Montag lediglich, warum es aus ihrer Sicht eine Entscheidung braucht.
Putin sei von seinem Plan, die Ukraine zu vernichten, nicht abgewichen, sagte die Grünen-Politikerin. «Deswegen ist es so wichtig, dass wir als internationale Gemeinschaft alles dafür tun, die Ukraine zu verteidigen.» Zuvor hatte sie in einem Interview zu den polnischen Plänen gesagt: «Wir wurden bisher nicht gefragt und (…) wenn wir gefragt würden, würden wir dem nicht im Wege stehen.» Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Montag: «Wenn ein solcher Antrag in Deutschland gestellt würde, was zur Stunde noch nicht der Fall ist, dann gibt es dafür eingespielte Verfahren, in denen eine solche Anfrage beantwortet wird. Und an die halten wir uns alle.»
Morawiecki: Deutschland könnte wirklich helfen
Polen sieht indes die Notwendigkeit auch deutscher Lieferungen. «Sie haben mehr als 350 Leopard-Panzer im Einsatz und etwa zweihundert auf Lager. Deshalb können sie der Ukraine heute wirklich helfen, der kämpfenden Ukraine, denn dort bedeutet dieser Kampf auch Kampf für Sicherheit, für Frieden in Europa», sagte Morawiecki.
«Angst überwinden, Russland zu bezwingen»
«Wir müssen die Angst davor überwinden, Russland zu bezwingen», sagte Litauens Aussenminister Gabrielius Landsbergis in Brüssel. «Was uns aufhält, ist die Angst davor, was passiert, wenn Russland diesen Krieg verliert.» Sein lettischer Kollege Edgars Rinkevics sagte zur deutschen Rolle: «Gross zu sein, bringt auch eine grosse Verantwortung mit sich. Aber an dieser Stelle glaube ich, dass es keine guten Argumente gibt, warum Kampfpanzer und Flugabwehrsysteme nicht bereitgestellt werden können.»
Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn sagte an die Adresse Berlins, «wir wissen, (…) dass jede schwerwiegende Entscheidung immer Zeit gekostet hat.» Er sei zuversichtlich, dass man am Ende dort landen werde, wo man landen müsse. Wichtig sei, dass sich die Ukraine wehren könne, wenn die Russen eine Frühjahrsattacke starteten. Nach seinen Angaben würden 300 Leopard-Panzer gebraucht.
In einem Brief an Verteidigungsminister Boris Pistorius forderten auch Dutzende britische Abgeordnete die Lieferung der Kampfpanzer. «Wir verstehen die historischen Gründe für die Zurückhaltung, deutsche und in Deutschland hergestellte Panzer bereitzustellen», zitierte die Zeitung «Sun» am Montag aus dem Schreiben. «Wir möchten Sie jedoch in diesem Moment äusserster Dringlichkeit dringend bitten, Ihre Position zu überdenken.»
Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte der Moskauer Nachrichtenagentur Interfax zufolge, dass das Hin und Her zwischen den EU-Staaten um den Leopard-Panzer die «Nervosität» dort zeige. «Vor allem wird für diese ganzen Handlungen, für diese Pseudounterstützung das ukrainische Volk bezahlen», sagte Peskow.
SPD-Chef will keine weiteren «Querschüsse» aus Koalition mehr
SPD-Chef Lars Klingbeil kritisierte in der Panzerfrage «Querschüsse» von Politikern der FDP und der Grünen und legte den Parteiführungen der Koalitionspartner eine Intervention nahe. «Ich weiss, was ich als Parteivorsitzender machen würde, wenn aus meiner Partei andauernd solche Querschüsse kommen», sagte Klingbeil in Berlin. «Da würde ich mit den entsprechenden Leuten mal reden. Das wirft ja auch kein gutes Licht auf die eigene Parteiführung, wenn da andauernd welche so unterwegs sind.»
Bundeswehr verlegt Patriot-Flugabwehrraketen nach Polen
Die Bundeswehr hat unterdessen mit der Verlegung der ersten beiden der drei zugesagten Patriot-Flugabwehrraketenstaffeln von Deutschland nach Polen begonnen. Drei Konvois mit 40 Fahrzeugen und 150 Soldaten brachen am Montag von Gnoien (Kreis Rostock) aus auf. Die Flugabwehrsysteme sollen Einsatzstellungen im Umfeld der Stadt Zamosc im Südosten Polens beziehen. Von dort sind es rund 60 Kilometer bis zu ukrainischen Grenze und 110 Kilometer bis zur ukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg). In den nächsten Tagen soll die dritte Staffel folgen. «Patriot ist ein rein defensives System», sagte der Kontingentführer der Bundeswehrkräfte in Polen, Oberst Jörg Sievers. Ziel sei es, den Nato-Luftraum und damit auch das polnische Staatsgebiet, die Infrastruktur und die Bevölkerung zu schützen.
Moskau: Ukraine versteckt Waffen auf AKW-Gelände
Russlands Auslandsgeheimdienst wirft der Ukraine vor, vom Westen gelieferte Waffen zum Schutz vor Zerstörungen auf dem Gelände von Atomkraftwerken zu stationieren. Das Kalkül Kiews sei, dass die russischen Truppen wegen der Gefahr einer nuklearen Katastrophe keine Schläge gegen die AKW verübten, teilte der Chef des Auslandsgeheimdiensts, Sergej Naryschkin, in Moskau mit. Überprüfbar sind diese Angaben nicht. Naryschkin behauptete, dass es glaubwürdige Angaben gebe, dass etwa Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars und grosskalibrige Artillerie dort untergebracht würden.
London sieht Skepsis gegenüber neuem russischen Oberbefehlshaber
Der neue russische Oberbefehlshaber in der Ukraine, Waleri Gerassimow, stösst nach britischer Einschätzung in der Truppe und bei der Privatarmee Wagner auf Skepsis. Der Generalstabschef lege viel Wert darauf, die Disziplin zu erhöhen, teilte das britische Verteidigungsministerium unter Berufung auf Geheimdienstinformationen am Montag mit. «Die Priorisierung vornehmlich kleiner Vorschriften dürfte die Befürchtungen seiner vielen Skeptiker in Russland bestätigen.» Dabei gehe es Gerassimow etwa um nicht vorschriftsmässige Uniformen, die Nutzung von Mobiltelefonen und zivilen Fahrzeugen sowie nicht der Norm entsprechende Haarschnitte. «Den grössten Spott aber gab es dafür, den Standard der Truppenrasur zu verbessern.» (awp/mc/pg)