Brüssel – Bei der Suche nach der Quelle des gefährlichen EHEC-Keims tappen die Experten weiter im Dunkeln – und vielen Gemüsebauern steht das Wasser inzwischen bis zum Hals. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner schätzt den finanziellen Schaden der deutschen Landwirte derzeit auf vier Millionen Euro am Tag. Nun soll die EU Hilfen prüfen. Madrid schliesst auch rechtliche Schritte gegen die Behörden in Hamburg nicht aus, von denen sich die spanischen Bauern vorschnell als Verursacher an den Pranger gestellt sehen. Trotz der Krise hält die EU-Kommission Importverbote spanischer Gurken für unangemessen.
Die Einfuhr bestimmter Produkte zu stoppen sei «unverhältnismässig», sagte EU-Gesundheitskommissar John Dalli am Mittwoch in Brüssel. «Es wäre auch nicht angemessen, Menschen von Reisen nach Hamburg abzuraten.» Er fügte hinzu, dass bisher kein EU-Land tatsächlich ein Einfuhrstopp umgesetzt habe. Einige, darunter Belgien, hatten dies aber angekündigt.
Eine Frage der Interpretation
Beschuldigungen aus Madrid in Richtung Deutschland wollte Dalli nicht direkt kommentieren. «Meines Wissens hat keiner gesagt, spanische Gurken dürften nicht mehr gegessen werden», sagte der Kommissar. Alles andere sei eine Frage der Interpretation. Entschädigungen für Bauern seien generell denkbar, sagte Dalli. Er sei «besorgt» wegen der finanziellen Folgen für Gemüseproduzenten in Europa und arbeite daher eng mit EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos zusammen. Ciolos hatte zuvor angekündigt, rechtliche Möglichkeiten für Kompensationen betroffener Landwirte auszuloten.
Schadenersatzforderungen «nicht bekannt»
In Deutschland habe die Rentenbank bereits ein Programm mit zinsgünstigen Darlehen auf den Weg gebracht, sagte ein Sprecher des Bundesverbraucherministeriums in Berlin. Schadenersatzforderungen wegen der Warnungen deutscher Behörden etwa aus Spanien seien dem Ministerium nicht bekannt.
Warnung war angebracht
Die schnelle öffentliche EHEC-Warnung der Hamburger Behörden sei angesichts der potenziellen Risiken angebracht gewesen, bekräftigte der Sprecher. Zum Schutz der Verbraucher müssten grundsätzlich alle belasteten Produkte vom Markt genommen werden, unabhängig vom konkreten Erregertyp. Die vom Robert-Koch-Institut herausgegebenen Warnhinweise für rohe Tomaten, Gurken und Salat vor allem in Norddeutschland gälten weiterhin.
Rechtliche Schritte
Spanien schliesse rechtliche Schritte gegen die Behörden in Hamburg nicht aus, sagte der spanische Vizeregierungschef Alfredo Pérez Rubalcaba. In Hamburg waren zunächst EHEC-Erreger auf Gurken aus Spanien festgestellt worden. Die Gesundheitsbehörden der Hansestadt stellten am Dienstag jedoch klar, dass es sich dabei nicht um die Keime handelte, die die schweren Darminfektionen ausgelöst hatten.
Lage für die Gemüsebauern spitzt sich zu
Doch auch in Deutschland spitzt sich die Lage für die Gemüsebauern wegen der eingebrochenen Nachfrage zu: Der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Gerd Sonnleitner, schätzt den bisherigen Schaden für die deutschen Gemüsebauern durch die EHEC-Krise auf mehrere Millionen Euro. «Wir sind bei einer Erhebung bei unseren Mitgliedern auf Mindereinnahmen von aktuell vier Millionen Euro pro Tag gekommen», sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Sonnleitner kritisierte, wie Experten bislang mit dem EHEC-Thema umgegangen seien. «Warnungen waren notwendig – aber nicht so einseitig.» Die Experten hätten sich zu sehr auf die Warnung vor Gemüse «eingeengt». «Bei den Bauern herrscht eine extreme Wut, dass man sie ohne Grund als die Schuldigen festgelegt hat», sagte Bauernpräsident.
BVEO schlägt auch Alarm
Alarm schlägt auch die Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO). Geschäftsführer Karl Schmitz vergleicht die Lage der Bauern mit den Folgen unmittelbar nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986. «Damals war das Ausmass der Unwissenheit ähnlich hoch wie heute.» Allerdings sei das Krisenmanagement damals ein «Desaster» gewesen. Seinerzeit habe es ausserdem eine prophylaktische behördliche Anordnung für die deutschen Gemüsebauern gegeben, Freilandgemüse unterzupflügen. «Nun gibt es «nur» eine Empfehlung an die Verbraucher, das Gemüse nicht zu konsumieren», sagte Schmitz. «Ansonsten sehe ich bedauerlicherweise sehr viele Parallelen zu damals. Das ist makaber, aber richtig.» Auch sein Verband schätzt die Einbussen auf ungefähr vier Millionen Euro pro Tag. (awp/mc/gh)
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