Elf Tage mit der Tochter – im Jahr
In Bangladeschs Städten nähen Frauen wie Tasnia Begum Kleidung für den Westen. An wenigen Tagen im Jahr fährt sie in ihr Heimatdorf – es ist die einzige Zeit, in der sie ihr Kind sieht.
Elf Tage hat sie dieses Jahr frei, und Tasnia Begum will jede Minute davon nutzen. Deswegen hat sich die Textilarbeiterin entschieden: Sie wird durch die Nacht fahren. Eigentlich würde sie das nicht machen, sagt sie – zu unsicher allein als Frau, vielleicht sogar gefährlich.
Deswegen hat sie Platz Nummer 1 gekauft, direkt hinter dem Busfahrer. 600 Taka, umgerechnet etwa sechs Euro, hat das Ticket gekostet. Für das Geld hat die 25-Jährige zwei Tage lang T-Shirts genäht. Ihr Arbeitgeber: ein Unternehmen, das früher H&M belieferte und heute Walmart. Ihr Arbeitsplatz: eine Textilfabrik ohne Namen am Tor im Industriegebiet von Chittagong, einer betongrauen Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt an der Bengalischen Bucht, der zweitgrösste Textilproduktionsstandort im Süden von Bangladesch.
Es ist 21 Uhr, der Abend des 3. Juni 2019. Der letzte Arbeitstag vor Eid, dem Fest am Ende des Fastenmonats Ramadan. Millionen von Muslimen fahren an diesem Tag nach Hause. Die Stimmung erinnert an den Tag vor Weihnachten: Züge und Busse sind überfüllt, Erwachsene sind gestresst, Kinder freuen sich auf Süssigkeiten.