Oppositionsführer Henrique Capriles.
Caracas – Nach 16 Jahren sozialistischer Mehrheit steht Venezuela vor einer Zeitenwende: Die Opposition konnte bei der Parlamentswahl am Sonntag eine deutliche Mehrheit erzielen. Wie die Präsidentin des nationalen Wahlrats, Tibisay Lucena, am Montagmorgen in Caracas mitteilte, entfielen auf die im Bündnis «Mesa de la Unidad Democrática» (MUD) vereinte konservative und sozialdemokratische Opposition mindestens 99 der 167 Mandate.
Der als «Oficialismo» bezeichnete Regierungsblock, bestehend aus der sozialistischen Partei und mit ihr kooperierender Parteien, erlitt eine herbe Niederlage – damit wird Präsident Nicolás Maduro auf Kompromisse angewiesen sein. Die Sozialisten eroberten lediglich 46 Mandate, allerdings fehlten noch einige Wahlbezirke. Die Wahlbeteiligung lag bei 74,25%. In Caracas jubelten die Menschen, Feuerwerk wurde gezündet. Präsident Maduro räumte die Niederlage ein. «Wir akzeptieren das.» Die Wahl war von beiden Seiten zu einem Plebiszit über das umstrittene Sozialismusprojekt erklärt worden.
Maduro will neue Etappe der bolivarischen Revolution
«Unser Weg ist der Frieden, unser Weg ist die Demokratie», betonte Maduro. Die Überwindung der Wirtschaftskrise sei die grösste Herausforderung. «Heute hat eine Gegenrevolution triumphiert.» Jetzt müsse man eine neue Etappe der von Hugo Chávez eingeleiteten bolivarischen Revolution beginnen.
Galoppierende Inflation
Die konstituierende Sitzung des neuen Parlaments ist für den 5. Januar geplant. Bis zu 200 Prozent Inflation, Mangelwirtschaft und fehlende Lebensmittel hatten die Unzufriedenheit in Venezuela in den vergangenen Monaten deutlich erhöht. Gerade untere Schichten leiden unter fast täglich teurer werdenden Lebenshaltungskosten.
Aus Angst vor einer möglichen Gewaltwelle nach der Wahl hatten die Menschen Hamsterkäufe getätigt. Das Land mit den grössten Ölreserven weltweit leidet zudem unter dem niedrigen Ölpreis, was es immer schwerer macht, die Sozialprogramme zu finanzieren.
Abkehr von linksgerichteter Politik in Südamerika
Nachdem im November in Argentinien der konservative Mauricio Macri das Präsidentenamt erobern konnte, scheint sich mit der Wahl in Venezuela ein jüngster Trend in Südamerika fortzusetzen: Die schrittweise Abkehr von linksgerichteter Politik, die den Kontinent seit Amtsantritt von Hugo Chávez geprägt hatte. (awp/mc/pg)