Kiew – Das Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist am Montagmorgen erneut von Explosionen erschüttert worden. Bei den neuen russischen Luftangriffen auf die Hauptstadt und andere ukrainische Städte sind Behördenangaben zufolge mehrere Menschen getötet worden. Es habe Todesopfer gegeben, nicht nur in Kiew, auch in anderen Städten, teilt Innenminister Denys Monastyrskyj mit.
Die russischen Angriffe haben nach ukrainischen Angaben auch die Energieinfrastruktur in den zentralen und nördlichen Regionen beschädigt. Wie der Netzbetreiber Ukrenergo mitteilte, sei die Situation im Stromnetz zwar unter Kontrolle und die Schäden würden behoben, die Ukrainerinnen und Ukrainer sollten jedoch sparsam mit Strom umgehen, insbesondere am Abend. Ukrenergo schloss auch Notabschaltungen nicht aus. Regierungschef Denys Schmyhal teilte hingegen mit, dass hunderte Städte und Dörfer ohne Strom seien. Bereits bei den Angriffen in der vergangenen Woche galt die ukrainische Energieinfrastruktur als Ziel.
Schon vor einer Woche hatte Russland mit Raketen ebenfalls zum Wochenbeginn im Berufsverkehr am Morgen das Zentrum von Kiew beschossen. Zuvor war es zu einer Explosion auf der Brücke zu der von Moskau annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim gekommen. Kremlchef Wladimir Putin hatte dem ukrainischen Geheimdienst einen «Terroranschlag» gegen die Brücke vorgeworfen – und dann die Raketen als Vergeltung abschiessen lassen. Dabei starben in Kiew und anderen Städten in der Ukraine mehr als ein Dutzend Menschen, mehr als 100 wurden verletzt.
Selenskyj verteidigt den Getreidedeal
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vor dem Hintergrund zunehmender Drohungen Moskaus, das Getreideabkommen zu beenden, dessen Bedeutung für die Hungerbekämpfung betont. Er kündigte an, die Exporte weiter auszubauen. Selenskyj sagte am Sonntag in seiner täglichen Videoansprache, obwohl der Krieg die Exporte weiter behindere, habe die Ukraine seit dem Inkrafttreten des Getreideabkommens fast acht Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Seeweg ausgeführt. «Das sind mehr als 300 Schiffe. 60 Prozent der Menge sind nach Afrika und Asien gegangen.» Erst vor wenigen Tagen hatte Russland damit gedroht, den Getreidedeal zu stoppen und die ukrainischen Häfen wieder zu blockieren, weil nach Moskaus Ansicht Versprechungen gegenüber Russland nicht eingehalten worden seien und zudem angeblich der Sprengstoff für den Anschlag auf die Krim-Brücke über den Seeweg aus der Ukraine geschmuggelt worden sei.
Belarus bewaffnet seinen Zivilschutz
In Belarus steigen vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine die eigenen militärischen Aktivitäten. «Jetzt haben wir alle Waffen vom Verteidigungsministerium erhalten, die wir bekommen sollten, und haben sie in den Waffenkammern gelagert», teilte der Chef des belarussischen Zivilschutzes, Wadim Sinjawski, am Sonntag im Staatsfernsehen mit. Es seien zugleich Einheiten gebildet worden, die zusammen mit dem Militär «zur Verteidigung des Vaterlands» herangezogen werden könnten.
Der ranghohe Beamte sprach zugleich von rund 5000 unterirdischen Anlagen, die in Belarus als Bombenschutzkeller verwendet werden könnten. Der belarussische Grenzschutz teilte derweil mit, seine Einheiten an der Grenze «wegen der verstärkten Aufklärungstätigkeit der Ukraine» verstärkt zu haben.
Erste russische Soldaten für gemeinsame Truppe in Belarus
Derweil schickte Russland erste Soldaten für eine gemeinsame Truppe mit Belarus in das Nachbarland. «Die ersten Truppenzüge mit russischen Soldaten (…) kamen in Belarus an», zitierte die russische Agentur Tass am Sonntag einen Sprecher des Verteidigungsministeriums in Minsk. «Die Verlegung wird mehrere Tage dauern. Die Gesamtzahl wird etwas weniger als 9000 Menschen betragen», hiess es. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte am vergangenen Montag die Aufstellung einer gemeinsamen regionalen Truppe mit Russland bekanntgegeben. Sie solle angesichts der steigenden Spannungen die belarussische Grenze schützen. Lukaschenko dementiert, dass sein Land selbst am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine teilnehmen werde.
Ukraine setzt hohes Kopfgeld auf Ex-Separatistenführer Girkin aus
Teilnehmen will derweil der ehemalige Anführer der Separatisten im Donbass, Igor Girkin, bekannt unter seinem Decknamen Strelkow. Russischen Militärbloggern zufolge meldete sich Girkin bei einem Freiwilligenbataillon zum Einsatz in der Ukraine. Der ukrainische Militärgeheimdienst HUR setzte 100 000 Dollar Kopfgeld für die Ergreifung des einstigen russischen Geheimdienstoffiziers aus. Girkin wird unter anderem für den Abschuss eines Passagierflugzeugs über dem Donbass verantwortlich gemacht.
Noch kein Zugang zu Kriegsgefangenen: Rotes Kreuz weist Kritik zurück
Das Rote Kreuz wehrt sich gegen Kritik aus Kiew, dass es zahlreiche Kriegsgefangene noch nicht besucht habe. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) habe moralische Verpflichtungen, hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vergangene Woche gesagt und umgehende Besuche verlangt. «Es hilft weder den Kriegsgefangenen noch ihren Familien, wenn dem IKRK die Schuld dafür gegeben wird, dass ihm der uneingeschränkte und sofortige Zugang verweigert wird», teilte das IKRK am Sonntagabend mit. Elf Mitarbeiter, darunter ein Arzt, stünden in der von Russland besetzten Region Donezk für solche Besuche bereit, hätten aber bislang keine Erlaubnis erhalten.
Diese müsse von den beteiligten Staaten kommen. Sie seien nach den Genfer Konventionen verpflichtet, dem IKRK Zugang zu gewähren. Das IKRK verlange seit fast acht Monaten vergeblich, sämtliche Orte, an denen Kriegsgefangene interniert seien – darunter das Gefangenenlager Oleniwka – ungehindert und regelmässig besuchen zu können. (awp/mc/pg)