EU-Gipfel beschliesst Milliardenhilfen für Flüchtlinge

Donald Tusk

EU-Ratspräsident Donald Tusk.

EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Brüssel – Im grössten Flüchtlingsdrama seit dem Zweiten Weltkrieg nehmen die Europäer Milliarden zur Krisenbekämpfung in die Hand. Mit diesem Kraftakt wollen die EU-Staaten ihre gemeinsamen Aussengrenzen besser sichern und schutzbedürftigen Menschen in Krisengebieten helfen. Das beschloss der EU-Sondergipfel am Donnerstagmorgen in Brüssel.

Die EU gibt eine Milliarde Euro zusätzlich zur Versorgung syrischer Flüchtlinge in Nachbarstaaten des Bürgerkriegslandes. Das Geld soll laut Abschlusserklärung etwa an das UN-Welternährungsprogramm und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR fliessen. Dem Welternährungsprogramm (World Food Programme – WFP) fehlt das Geld; die Organisation musste ihre Unterstützung für Vertriebene bereits kürzen, was teilweise zu Engpässen in Lagern führte.

Hotspots in Italien und Griechenland
Der EU-Sondergipfel beschloss auch, in Italien und Griechenland Registrierungszentren («Hotspots») für Flüchtlinge bis Ende November einzurichten. Nach Worten der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte auch Bulgarien seine Bereitschaft, einen solchen «Hotspot» einzurichten. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte: «Das Chaos an unseren Aussengrenzen muss ein Ende nehmen.»

Merkel betonte, die menschliche Würde aller Flüchtlinge müsse respektiert werden. Das gelte auch für diejenigen, die ohne Anrecht auf Asyl wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden müssten. «Das hat etwas mit dem Gesicht Europas in der Welt zu tun», sagte Merkel. Zäune seien kein Mittel, das Problem zu lösen. Allerdings gebe es auch keine Wahlfreiheit für Flüchtlinge. «Es gibt keinen Anspruch auf ein bestimmtes Land.»

Zu den Möglichkeiten einer Konflikteindämmung in Syrien und der Rolle von Diktator Baschar al-Assad sagte Merkel: «Es muss mit vielen Akteuren gesprochen werden, auch mit Assad.»

«Grösste Welle kommt noch»
Tusk rechnet noch mit grossen Herausforderungen für Europa: «Die grösste Flüchtlingswelle wird noch kommen.» Die «Politik der offenen Türen und Fenster» müsse beendet und die EU-Aussengrenzen müssten besser geschützt werden.

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollte die Flüchtlingshilfe für die Türkei für das laufende und das kommende Jahr auf insgesamt eine Milliarde Euro aufgestockt werden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird nach Angaben Tusks am 5. Oktober in Brüssel zu Gesprächen erwartet.

Von der Finanzhilfe soll auch Afrika mit 1,8 Milliarden Euro profitieren. Ausserdem will die EU ihre Grenzschutzagentur Frontex stärken – auch dafür gibt es zusätzliches Geld. Laut EU-Kommission sollen die Gelder, die vor allem zur Flüchtlingshilfe eingesetzt werden, im Vergleich zum Jahresbeginn insgesamt auf 9,2 Milliarden Euro verdoppelt werden. Zunächst waren 4,5 Milliarden Euro vorgesehen.

«Energiegeladene» Diskussionen
Die EU-Staaten rangen auch um die Verteidigung europäischer Grundprinzipien wie die Reisefreiheit. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban drohte die Schliessung der Grenze seines Landes zum EU-Mitglied Kroatien an. Der Kurs Ungarns und anderer Staaten sorgte für heftige Reaktionen unter den EU-Partnern.

Tusk räumte Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staats- und Regierungschefs ein, einige Themen seien nach wie vor strittig. «Sie können sich vorstellen, dass die Diskussion zwischen dem ungarischen Premierminister und dem österreichischen Kanzler sehr energiegeladen war.» Ungarn wird vorgeworfen, Flüchtlinge ohne Registrierung einfach nach Österreich weiterreisen zu lassen, obwohl dies dem sogenannten Dublin-Prinzip widerspricht. Insgesamt sei man sich aber einig, sagte Tusk: «Niemand hat dem anderen den Schwarzen Peter zugeschoben.»

Der französische Staatspräsident François Hollande sagte, wer europäische Werte nicht teile, müsse sich fragen, ob er in der EU richtig aufgehoben sei. Tusk sah europäische Errungenschaften in Gefahr: «Die Zukunft von Schengen steht auf dem Spiel.»

Das Schengen-System garantiert das Reisen ohne Grenzkontrollen zwischen 26 Staaten (22 EU-Staaten sowie Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein). (awp/mc/ps)

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