Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Ankunft in Brüssel am Donnerstagabend.
Brüssel – Wegen des Streits über Reformangebote an Grossbritannien geht das Spitzentreffen der EU- Staats- und Regierungschefs in Brüssel in die Verlängerung. Die Suche nach Kompromissen gestaltete sich am Freitag in Brüssel schwierig. Der Zeitplan geriet in Verzug. Die Suche nach Gemeinsamkeiten in der Flüchtlingsfrage hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren europäischen Amtskollegen zuvor bereits eine lange Nacht beschert.
«Wir haben einige Fortschritte gemacht, aber es gibt noch keine Vereinbarung, sagte der britische Premier David Cameron am Morgen. «Ich werde mich nur auf eine Vereinbarung einlassen, wenn wir bekommen, was Grossbritannien braucht.»
Reformpaket
Beim Gipfel will sich Grossbritanniens Premier David Cameron mit den anderen europäischen Staats- und Regierungschefs auf ein Reformpaket verständigen, das die britischen Wähler überzeugen soll, für den Verbleib in der Europäischen Union zu votieren. Die Abstimmung könnte bereits für den Juni angesetzt werden. Die unterschiedlichen Positionen bewegten sich auf einander zu, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Nach seinem Kenntnistand bewege sich auch die Regierung des Vereinigten Königreiches in einigen Bereichen. Beispiele nannte er allerdings nicht.
Kabinetts-Sondersitzung
Der britische Sender BBC ging davon aus, dass die EU-Debatte am frühen Abend abgeschlossen sein wird und Cameron danach in London eine Kabinetts-Sondersitzung abhält. Dann könnte er auch das genaue Datum für das Referendum bekanntgeben. In der Nacht ging es nach Angaben von Diplomaten vor allem um Details. Offen war zuletzt zum Beispiel, wie lange es Grossbritannien erlaubt werden solle, eine geplante «Notbremse» zu ziehen. Damit will die Regierung in London zugewanderten EU-Bürgern bestimmte Sozialleistungen für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vorenthalten. Der belgische Premier Charles Michel betonte, dass alle mit Grossbritannien jetzt getroffenen Vereinbarungen hinfällig sein würden, falls die Wähler beim Referendum für einen Austritt aus der EU stimmen.
Flüchtlingskrise
In der Flüchtlingskrise plant die EU Anfang März einen neuen Sondergipfel mit der Türkei. «Wir haben bestätigt, dass es keine Alternative gibt zu einer guten, intelligenten und weisen Zusammenarbeit mit der Türkei», sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in der Nacht. Für die innenpolitisch bedrängte Kanzlerin Merkel hat das Türkei-Spitzentreffen grosse Bedeutung, denn am 13. März stehen Landtagswahlen in Baden-Württemburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an. Die CDU-Chefin sieht die Türkei als einen entscheidenden Partner zum Bewältigen der Flüchtlingskrise. Am Freitagmorgen sprach sie auch mit dem französischen Präsidenten François Hollande und dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras über die Flüchtlingsfrage.
Merkel sah sich in der Nacht in ihren Bemühungen um eine Lösung der Krise bestätigt. Alle Staats- und Regierungschefs hätten den Ende November gefassten EU-Türkei-Aktionsplan nicht nur bekräftigt, sondern auch zur Priorität beim Umsetzen der gemeinsamen Ziele erklärt, sagte sie. Das seien der bessere Schutz der EU-Aussengrenzen, die Bekämpfung der illegalen Migration und dadurch die Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Ein am Rande des Gipfels geplantes Sondertreffen einiger Staaten mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu musste wegen des jüngsten Anschlages in Ankara abgesagt werden.
Tagesobergrenzen
Für Ärger beim Gipfel sorgte ein österreichischer Alleingang. Laut Diplomaten wurde die Forderung laut, dass Wien bis zum nächsten EU-Gipfel Mitte März eine angekündigte Flüchtlings-Obergrenze erst einmal nicht in die Tat umsetzt. Bundeskanzler Werner Faymann sagte allerdings nach den Beratungen, seine Regierung werde daran festhalten. Wien hatte zuvor Tagesobergrenzen von 3200 Flüchtlingen festgelegt, die nach Deutschland weiterreisen wollen. Zudem ist für Österreich eine Höchstzahl von täglich 80 Asylanträgen an der Südgrenze geplant. Die EU-Kommission hält das Vorgehen für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Konvention sowie mit Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta. (awp/mc/ps/cs)