London – Ein Detail der grössten US-Steuerreform seit über 30 Jahren enthält nach Meinung von Experten Sprengkraft für die Handelsbeziehungen zwischen Europa und Amerika.
Juristen fühlen sich in den vom US-Kongress beschlossenen Sonderregelungen bei der Versteuerung von Lizenzeinkünften an ein System erinnert, das um die Jahrtausendwende den grössten transatlantischen Handelsstreit der vergangenen Jahrzehnte ausgelöst hatte.
Durch die neuen Regeln könnte demnach für einige US-Grosskonzerne beim internationalen Geschäft doppelt so viel Geld herausspringen wie bei der früheren Regelung für ausländische Vertriebsgesellschaften («Foreign Sales Corporation Scheme» – FSC).
Die Finanzminister Deutschlands, Frankreichs, Grossbritanniens, Italiens und Spaniens haben sich deshalb bereits Anfang Dezember in einem Brief, der der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt, an ihren US-Kollegen Steven Mnuchin besorgt gezeigt.
Experten sehen unerlaubte Subvention
Ähnlich äusserte sich in einem zweiten Schreiben die EU-Kommission wegen der neuen US-Regel, die einen reduzierten Steuersatz von 12,5 Prozent vorsieht. So unterschiedliche US-Firmen wie Microsoft oder die Bank of America könnten durch die Lizenzregelung Milliarden sparen. Anwälte sowie Experten in der EU-Kommission sehen darin eine unerlaubte Subvention für Exporte.
Die Welthandelsorganisation WTO senkte im Jahr 2000 den Daumen über das alte System, das von 1984 bis etwa 2006 in Kraft war und von dem grosse Produzenten wie der Airbus-Konkurrent Boeing oder der Siemens-Rivale General Electric profitierten.
Demnach konnten die US-Firmen ihre Gewinne so strukturieren, dass sie beim Export von Produkten oder Dienstleistungen ihre zu zahlenden Steuern effektiv um 15 Prozent verringerten. Die genaue Höhe der Entlastung war abhängig davon, welche Steuerpläne ein Unternehmen bereits hatte und wie viele der Gewinne aus dem Export als immaterielle Werte anerkannt wurden.
Die Nachrichtenagentur Reuters analysierte Unternehmensberichte von über 100 zufällig ausgewählten US-Konzernen der vergangenen 20 Jahre. Demnach profitierten 26 Firmen von dem früheren System, die Hälfte von ihnen von der Regelung zu immateriellen Werten. Unter ihnen waren der US-Pharmakonzern Merck & Co, die Kaffeehauskette Starbucks, der Softwareanbieter Oracle oder der Technologiekonzern IBM.
Keine der Firmen wollte sich auf Anfrage zu den Vorteilen der früheren Steuerregel äussern. Der Unterhaltungskonzern Walt Disney, der hauptsächlich als immateriell deklarierte Kinofilme und Videospiele exportiert, hat durch das System zwischen 2002 und 2005 seine gesamte Steuerlast um etwa drei Prozentpunkte jährlich reduzieren können.
Sollte der Produzent der «Star Wars»-Filme die neuen Lizenzregeln anwenden und sich ähnlich stark auf den Export fokussieren wie in der Vergangenheit, könnte er auf Basis eines Gewinns von jährlich neun Milliarden Dollar 250 Millionen Dollar Steuern sparen.
Nicht mit WTO-Regeln in Einklang
«Wir scheinen einer weiteren, neuverpackten Version der FSC-Saga gegenüberzustehen», sagt der WTO-Experte Folkert Graafsma von der Anwaltskanzlei VVGB in Brüssel. «Die USA haben anscheinend nicht dazugelernt.»
Auf den ersten Blick seien die neuen Vorschriften nicht mit den WTO-Regeln in Einklang zu bringen. Eine Studie von zwölf US-Steuer- und Rechtsexperten teilt diese Ansicht.
Handelsrechtsexperte Ernst-Ulrich Petersmann von der Universität Florenz sieht es als sehr wahrscheinlich an, dass die EU wegen der neuen US-Lizenzregel wieder vor die WTO zieht.
Dagegen bezeichnet ein Sprecher des zuständigen Ausschusses im US-Senat die Regel im Einklang mit den Vorgaben: «Das Gesetz sorgt einfach für Chancengleichheit, so dass amerikanische Firmen überall in der Welt sowie zuhause konkurrieren und gewinnen können.» (awp/mc/ps)